Ostern 2018: Geschichte – Ei 4: Grenth

17. Krankenbesuch und wer ruft denn da?

Die Freude ist bei allen riesengroß, als die drei durch das Tor auf das Gelände des Waisenhauses kommen. Die anderen Kinder umlagern sie und wollen natürlich genau wissen, was sie erlebt haben. Isengora und Grimma nehmen alle mit rein in den Gemeinschaftsraum, setzen sich in der Mitte hin und fangen an zu erzählen. Alle sitzen ganz ruhig da und hören mit gespanntem Gesichtsausdruck zu. Manchmal geht ein Raunen durch den Raum, gerade wenn Isengora von den Kämpfen berichtet und diese nach Norn-Art ein wenig ausschmückt. Grimma grinst dann still in sich hinein, wird aber auch mal kurz ernst, wenn sie an die Verletzung von Isengora bei den Artesischen Gewässern denkt. Wenig später wird zusammen gegessen und es ist wieder so wie früher. Das laute Schreien der Kinder, die Streiche, die man sich untereinander spielt … War das alles keine zehn Tage her? Grimma erscheint es so, als ob mehrere Monate vergangen wären.

Silas ist in der Zwischenzeit am Haus des Heilers angekommen. Ihan führt ihn nach oben und lächelt. „Wir haben Stadium zwei von vier erreicht. Es geht ihr vorübergehend besser und sie ist ansprechbar.“ Ihan bringt Silas bis vor die Tür und verabschiedet sich dann. Mit pochendem Herzen steht der Blondschopf vor der Tür. Dann nimmt er allen Mut zusammen und klopft. Ein „Komm herein“ erklingt und Silas drückt die Türklinke runter. Als er den Kopf durch den Türspalt bewegt, sieht er Kaia auf dem Bett sitzen. „Ohh, ich hatte Ihan erwartet.“ Im ersten Augenblick ist Silas über die Aussage enttäuscht, was sich wohl auch auf seinem Gesicht bemerkbar macht, denn Kaia lächelt und meint: „Reingelegt! Ihan hat mir erzählt, dass Du kommen wirst. Er hat mir alles berichtet, auch über das Abenteuer, was Ihr gerade erlebt. Steh nicht so herum. Komm her und setzt dich zu mir aufs Bett.“ Langsam und etwas unbeholfen geht der Blondschopf auf das Bett zu und setzt sich neben Kaia hin, die seine rechte Hand umschließt und ganz fest drückt. „Ich möchte mich bei dir bedanken, dass Du die ganzen Gefahren auf dich nimmst, um mich zu retten. Weißt Du, ich habe manchmal Angst zu sterben. Ihan meint, es wäre normal, Angst zu haben. Dann kommt er und macht mir Hoffnung und er erzählt die Geschichte von zwei Heldinnen und einem jungen, gut aussehenden Helden, die versuchen, mich zu retten. Auf der einen Seite habe ich ständig Angst um die drei und bete, dass Dwayna sie beschützen mag. Auf der anderen Seite hoffe ich, dass Ihr Erfolg habt, denn ich möchte dem hübschen Jungen von den drei Helden ein Geheimnis anvertrauen. Aber erst, wenn ich wieder gesund bin.“ Da schaut Silas sie an und meint: „Wir werden Dich retten“, und eine Träne kullert seine linke Wange runter. Auch Kaia verliert eine Träne. Wenig später stehen beide auf und umarmen sich. In einem Anflug von Gefühlen für einander schauen sich beide an und Kaia presst ihre Lippen auf die von Silas. Es fühlt sich für den Jungen gut und richtig an, nicht wie bei der Mesmerin, und er genießt diesen winzigen Augenblick des Glücks, der sofort wieder von der Sorge um Kaia zerrissen wird. Silas wendet sich ab und geht. Kein Blick zurück, der ihm doch nur das Herz zerreißen würde. Die drei übernachten im Waisenhaus und beim Frühstück planen sie ihr weiteres Vorgehen. „Die Frage lautet: ‚Wie kommen wir am besten in die Grasgrüne Schwelle?‘“ Alle schauen Grimma an, also ob sie nicht nur eine Frage gestellt, sondern auch gleich eine Lösung parat hätte. Da kommt ein Rabe zum Fenster reingeflogen. Priester Hazadim nimmt den Brief entgegen und liest laut vor: „Mein alter Freund. Wie Du weißt, habe ich meine Augen und Ohren überall, was Löwenstein und Götterfels betrifft. Ich schulde Dir noch etwas und vielleicht kann ich diese Schuld jetzt begleichen. Wie ich höre, hast Du dringende Luftfracht, die in die Grasgrüne Schwelle muss. Zufällig habe ich ein Luftschiff, das Richtung Geistertal unterwegs ist. Landen werde ich nicht, aber wenn Deine Fracht abspringen will während des Fluges, habe ich nichts dagegen. Bei Bedarf sollen sie sich auf dem Flughafen von Löwenstein melden. Dein Freund, Kapitän Armestoefftoeff.“ – „Dwayna ist mit uns“, ist der erste Satz von Kutay, nachdem Hazadim mit Vorlesen fertig ist. „Das würde uns dann locker vier Tage Fußweg ersparen“, meint Silas. „Die Frage ist nur, wer ist Kapitän Armestoefftoeff und können wir ihm trauen?“, stellt Isengora die entscheidende Frage. Hazadim grinst. „Kapitän Armestoefftoeff versucht seit geraumer Zeit, eine Armee aufzustellen, um vermisste Pakt-Mitglieder in besonderen Gebieten zu finden und zu retten. Scheinbar hat er dafür sogar ein Luftschiff bekommen vom Kapitänsrat. Von daher ja, er ist total durchgeknallt, aber man kann sich auf ihn verlassen.“ Silas, Isengora und Grimma schauen sich an, nicken und meinen dann: „Gut, unter diesen Voraussetzungen machen wir mit.“

Wenig später verabschieden sich die drei und machen sich wieder auf den Weg. Die Richtung führt diesmal in die Oberstadt, in die Mitte von Götterfels, zum Garten der Königin. Dort steht das Asura-Portal, welches sie nach Löwenstein bringt. Kurz vor dem Durchgang kommt Grimma die Frage in den Sinn: „Sagt mal, war einer von Euch schon mal in der Grasgrünen Schwelle?“ Die beiden anderen schütteln den Kopf. „Weiß jemand etwas über die Bewohner oder die Gefahren?“ Wieder schütteln alle nur mit dem Kopf. „Okay“, meint Grimma, „ich wollte das nur mal geklärt haben“, und grinst vor sich hin. Jetzt kann das Abenteuer losgehen. Als sie in Löwenstein ankommen, fällt Isengora eine nicht ganz unwesentliche Frage ein: „Weiß einer, wo der Flughafen von Löwenstein ist?“ Silas nickt. „Ich habe Hazadim danach gefragt. Ganz im Süden, bei den Toren, die in die Nebel führen, dort ist auch der Eingang zum Flughafen.“ – „Das trifft sich gut“, meint Isengora. „Dann kann ich unterwegs noch meine Gewinne aus dem Schwarzlöwen-Handelsposten abholen.“ Während der Wind eisig bei strahlend blauem Himmel durch die Rüstung fegt, gehen unsere Helden Richtung Westen, um bei ihrer Bank das Wichtigste zu deponieren. Dann geht es weiter zum Händlerforum, weil Isengora sich noch unbedingt zu einem Lehrgang als Köchin anmelden möchte. Silas nutzt die Chance, sich für eine Schneiderlehre anzumelden, und Grimma will einen Waidmannskurs belegen. Auf dem Weg zur Schwarzlöwen-Handelsgesellschaft fragt Grimma bei Silas nach. „Eines versteh ich nicht. Warum willst Du unbedingt eine Schneiderlehre machen? Du hast doch eine super Rüstung bekommen.“ Da schaut Silas sie an und meint: „Vergiss nicht, was Ihan gesagt hat. Meine Ausrüstung ist leihweise. Wenn unser Abenteuer vorbei ist, muss ich sie wieder abgegeben.“ – „Aber das ist nicht der einzige Grund, oder?“ Silas schaut etwas verlegen zu Boden, bevor er sagt: „Die Rüstung reibt ganz schön an meinem Hintern bei jedem Schritt. Ich hoffe, mir etwas dagegen schneidern zu können.“ Beide lachen und wenig später kommt Isengora von ihrem Besuch bei der Schwarzlöwen-Handelsgesellschaft wieder. Dann geht der Weg weiter über die Gedenkbrücke von Kapitän Theo Aschfurt zum Fort Marriner. „Dort hinten“, ruft Silas, „hinter den Toren, dort muss der Eingang zum Flughafen sein.“ Wenig später stehen sie am Eingang und werden freundlich von einem Mitglied der Schwarzlöwen-Handelsgesellschaft begrüßt. „Bitte, geht rein. Hier ist der größte und wichtigste Warenumschlagplatz von Löwenstein. Außerdem könnt Ihr hier gratis an weit entfernte, exotische Ort reisen.“ Diese Einladung hören die drei gerne und mit einem Satz sind sie im Flughafen. „Ein Gewusel ist das hier“, meint Isengora. „Was hast Du gesagt?“, fragt Silas gegen den Lärm an. Doch Isengora winkt nur ab. So viele Arbeiter, die hier Waren verladen, und diese imposanten Luftschiffe. Es ist beeindruckend, was hier passiert. Da erschallt ein Aufruf: „Die drei fehlenden Mitglieder der Geistertal-Such-und-Rettungsexpedition werden dringend gebeten, zum Einstieg 2 des Flughafens zu kommen.“ – „Meinen die uns?“, fragt Isengora. Silas zuckt mit den Schultern und fragt einen der Arbeiter. „Kannst Du uns sagen, wo Einstieg 2 ist?“ Der Arbeiter streckt seinen Arm aus und zeigt auf die rechte Tür. Davor steht ein kleiner Asura mit Hasenohren, der schon ganz aufgeregt mit seinen Ärmchen wackelt. „Na, da seid Ihr ja endlich. Ich warte schon seit 24 ⅜ Minuten auf Euch. Ungeheuerlich so was. Im Geistertal warten PaktMitglieder, die unsere Hilfe benötigen, und Ihr trödelt. Also wiederhole ich es noch mal, ungeheuerlich so etwas!“ – „Irgendwie wirkt er leicht überfordert, oder was meinst Du, Isengora?“, kommt die Frage von Grimma. Da läuft Kapitän Armestoefftoeff rot an im Gesicht und will grade mit einer weiteren Schimpfkanonade beginnen, als der Hafenmeister vorbei kommt. „Hör mal, ich brauche den Anlegeplatz. Entweder Du fliegst jetzt sofort ab oder ich muss 250 Gold Strafgebühren berechnen.“ Schnell wechselt die Farbe des Kapitäns von rot auf bleich und er rennt Richtung Luftschiff – und unsere drei Helden hinterher. Zwei Minuten später hebt das Schiff ab. Ihre Reise zur Grasgrünen Schwelle hat begonnen.

18. Wer ist Ameyalli?

Abends, kurz vor Sonnenuntergang, kommt das Luftschiff in das Gebiet der Grasgrünen Schwelle. Kapitän Armestoefftoeff kommt zu unseren dreien und meint: „Wenn Ihr in die Schwelle wollt, da vorn ist die Leitplanke. Wir haben extra einen provisorischen Gleiter für jeden von Euch besorgt. Wie ich höre, könnt Ihr ja noch nicht richtig gleiten.“ – „Ich dachte, wir bekommen Fallschirme“, kommt da von Grimma. „Fallschirme? Was für ein neumodisches Zeug ist das denn?“ – „Eine Erfindung der Eisen-Legion. Man kann damit aus großer Höhe aussteigen und kommt sanft unten an.“ – „Papperlapapp“, kommt da von dem Asura. „Gleiten ist gesund, sorgt für eine gute Frisur und macht Spaß, wenn man es kann“, fügt er flüsternd hinzu. „Okay, wir gehen jetzt so tief wie möglich. Hängt euch in Eure Gleiter und versucht, im Bogenflug runterzukommen. Wenn alles klappt, solltet Ihr an Maguumas Bresche herauskommen und fast an der Wegmarke landen. Den Rest müsst Ihr dann selber heraus finden.“

Isengora steht als erste auf der Planke, stößt sich ab und fliegt davon. „Begabt“, meint Kapitän Armestoefftoeff nach den ersten Sekunden. „Die Katze als nächstes.“ Grimma steigt auf die Planke, stößt sich ab und faucht. Sie trudelt, kann den Gleiter dann aber unter Kontrolle bringen. „Anfängerglück“, meint der Kapitän. Dann steht Silas auf der Planke. Das Gewicht des Gleiters lässt ihn dauernd nach rechts oder links schaukeln. „Zieht die Planke ein“, ruft der Kapitän und Silas verliert den Halt unter den Füßen und fliegt los. Auf einmal ist alles so leicht. Er spürt den Wind unter den Flügeln des Gleiters und durch leichte Gewichtsverlagerung lernt er schnell, den Gleiter, zu steuern. Es ist einfach nur fantastisch, frei wie von Vogel in der Luft zu schweben.

Als er unten neben Isengora und Grimma abkommt, wobei beide ziemlich lädiert sind, bedauert Silas nur, dass der Flug schon vorbei ist. Von oben schreit Kapitän Armestoefftoeff ein letztes Mal: „Gute Reise!“, und dann fliegt das Luftschiff davon. „Wenn ich den in die Finger kriege“, stöhnt Isengora. „Norn sollten nicht fliegen, dafür gibt es Raben.“ Auch Grimma schimpft und faucht, nur Silas grinst beide an und meint: „Also ich fand es toll.“ Da schütteln beide den Kopf, um wenig später in Richtung Wegpunkt Schiffswrack-Spitze loszuziehen. Es ist schon dunkel, als sie ankommen und auf Explorator Mattis treffen. „Wir kamen als Eroberer, um gegen Mordremoth zu kämpfen, doch der Drache schüttelte sich nur einmal und die ganze Flotte stürzte ab und liegt seitdem über die gesamte Grasgrüne Schwelle verteilt. Nachts solltet Ihr nicht unterwegs sein, weil die Mordrem, Geschöpfe des Dschungeldrachen, dann besonders aktiv sind. Wie ich sehe, sind keine Sylvari bei Euch, das ist gut.“ – „Warum?“, will Silas wissen. „Die Sylvari waren ursprünglich Kinder von Mordremoth, doch durch besondere Umstände wurden sie seiner Gewalt entrissen. Seit der Dschungeldrache aber wieder erwacht ist, spricht er direkt in die Köpfe der Sylvari und fordert sie zur Rückkehr an seine Seite auf. Es hat schon einige gegeben, die dem Druck nicht mehr standhalten konnten und uns plötzlich angegriffen haben. Abgesehen davon sehe ich, dass Ihr keine richtigen Gleiter habt. Als Erstausrüstung bekommt Ihr von mir Gleiter, denn ohne ist es schwierig, hier vorwärtszukommen. Ihr werdet merken, es geht hier entweder bergauf oder bergab. Ebene Flächen kennen die hier nicht. Und zum Schluss, wenn Ihr eine Stelle zum Schlafen braucht, nehmt neben der defekten Antriebseinheit von mir gegenüber Platz. Ist nicht bequem, aber dafür sicher und das ist hier in dieser Gegend schon verdammt viel Wert.“ – „Mir gefällt diese Gegend schon jetzt nicht“, meint Isengora. „Ich will weder fliegen, noch gleiten, noch habe ich Lust, auf harten Steinböden zu schlafen.“ Der Explorator zuckt die Schultern und meint nur: „Eure Entscheidung.“ Danach wendet er sich anderen zu.

„Was machen wir?“, fragt Isengora. „Weiterziehen macht keinen Sinn“, meint Grimma. „Wir sind zwar ausgeruht durch die Luftschifffahrt, aber wohin wollen wir mitten in der Nacht laufen? Wir würden nur den Mordrem in die Arme laufen. Also suchen wir uns einen Platz zum Schlafen und starten morgen in aller Frühe, sobald die Sonne aufgeht.“ So ziehen sich die drei zurück und obwohl sie eigentlich ausgeruht sind, schlafen sie schnell ein.

Silas erwacht in einem dunklen Wald. Der Boden ist glitschig und feucht. Es riecht nach Verbranntem. Ein Stöhnen und Ächzen liegt in der Luft. Da kommen Wesen mit Waffen auf Silas zu. Schnell versteckt er sich hinter einem Baum, als eine Stimme ertönt: „Sie können dich nicht sehen.“ Erschrocken blickt Silas sich um. Da ist niemand. „Doch, ich bin da“, ertönt die Stimme. „Es sind nur noch Splitter von mir hier an diesem Ort und selbst die werden immer schwächer, aber ich möchte Dir zeigen, was auf Euch zukommt, und die Geschichte dieses Ortes erzählen. Ich bin Ameyalli. Bitte lauf durch den Wald und schau dir alles genau an. Du und Deine Freunde werdet jede Information brauchen. Dies“, so erzählt Ameyalli, „ist der Leichen-Hain. Wenn ein Lebewesen stirbt, unabhängig von seiner Rasse, bringen die Mordrem es hier hin. Immer zwei Mordrem-Steuerer nehmen dann die Leiche und ketten diese an einen der Bäume, wo du das Feuer siehst.“ – „Ich sehe es“, antwortet Silas, „aber ich versteh es nicht. Warum verbrennt es den Baum nicht?“ – „Der Baum ist schon lange tot und nur noch eine Hülle. Wenn die Leiche dort befestigt wurde, kommt eine Mordrem-Made, schlüpft in den Körper und die Verwandlung beginnt. Er wird zu einem Diener Mordremoths. Die Berufung, die er erhält, ergibt sich aus seiner Vergangenheit. Die Made spinnt den Körper vollkommen ein und alles, was das Wesen früher einmal ausgemacht hat, ist dann ein Teil des Dschungeldrachen.“ – „Und was hat das Feuer im Baum dabei zu suchen?“ – „Hörst Du das Stöhnen?“, kommt die Frage von Ameyalli. „Bis zu 48 Stunden nach dem Tod bleibt ein Restbewusstsein im Körper zurück. Die Made versucht diesem das Wissen und die Erfahrung zu entreißen, damit sie es Mordremoth weiterleiten kann, und um anschließend dieses Restbewusstsein im Sinne des Dschungeldrachen zu verändern. Doch damit sie es kopieren und beeinflussen kann, muss der Körper unerträgliche Qualen erleiden, damit er den geistigen Angriff der Made nicht abwehren kann. Das Feuer macht dem Körper und dem Restbewusstsein vor, dass es in einer Lavafontäne steht und langsam qualvoll verbrennt. Sobald die Energie vom Restbewusstsein einen gewissen Pegel unterschreitet, attackiert die Made das Bewusstsein und beginnt ihre Arbeit. Das Stöhnen, was Du hörst, ist nichts anderes als die Qual des Restbewusstseins.“ Silas ist bis ins Innerste erschüttert. Er geht auf die Knie und fragt: „Ameyalli, warum zeigst Du mir das?“ – „Ich bin die Göttin der Natur. Die Itzel und die Nuhoch verehren mich. Doch weiß ich, dass auch Ihr Menschen Götter habt und einer davon hat mich gebeten, Euch zu helfen. Er sprach von Gerechtigkeit, die wiederhergestellt werden muss. Eines solltest Du noch wissen: Es gibt einen ersten Baum. Einen Baum, mit dem alles angefangen hat. Er wird ‚der vermoderte Baum‘ genannt. Dort wirst Du finden, wonach Dein Herz begehrt.“ Da fängt der dunkle Wald an zu pulsieren. „Ameyalli! Ameyalli, wo finden wir den Leichen-Hain?“, kommt die Frage von Silas. Doch Ameyalli antwortet nicht mehr.

19. Aufbruch nach Jaka Itzel

Am nächsten Morgen sorgt die Erzählung von Silas beim Frühstück für grimmige Gesichter. „Das kann wirklich nur einem Alt-Drachen einfallen. Ich weiß, wir sind hier, um das Ei Grenths zu suchen, aber nach unserem Abenteuer steht ein Besuch bei Mordremoth nach dieser Geschichte ganz oben auf meiner To-do-Liste.“ Isengora nickt Grimma zu. „Und ich werde mitkommen!“ – „Jetzt sollten wir aber erst mal herausfinden, wo der Leichen-Hain ist“, meint Silas. „Ein Ansatz ist diese Ameyalli.“ – „Ich habe versucht, mit dem Itzel-Händler zu sprechen, aber ich habe kein Wort verstanden“, berichtet Isengora. „Der Eule sei Dank kam ein anderer Reisender und hat mir geholfen. Er meint, Jaka Itzel sei unser Ziel. Dort gäbe es eine Kaana Miatli. Sie werde uns alle weiteren Fragen beantworten.“

So ziehen unsere Helden los. Erst Richtung Norden, um dann westlich dem Verlauf des Weges zu folgen. „Der Explorator hat recht“, meint Isengora, die mit der hohen Luftfeuchtigkeit hier im Dschungel schwer zu kämpfen hat. „Entweder Berg rauf oder Berg runter, und ich habe das Gefühl, entschieden mehr Berg rauf.“ Die erste Stunde kommen sie trotz der Strapazen gut voran. Erst als sie das Grenzgebiet erreichen, das den Zugang zum Geistertal erlaubt, treffen sie auf die ersten Dschungelranken, von denen sie angegriffen werden. „Was ist das denn?“, fragt Silas, bevor er anfängt, seinen Stab zu schwingen, um die Ranken in Flammen zu tauchen. Die drei sind ein eingespieltes Team. Während Silas den Gärtner gibt und das „Unkraut“ verbrennt, achtet Isengora darauf, dass die spuckenden Ranken Silas nicht treffen. Am Ende schütteln alle nur den Kopf und ziehen weiter. Als sie an der ersten Bast-Hängebrücke ankommen, staunen sie nicht schlecht. Mitten in die Bäume wurden unzählige Brücken gebaut, welche die einzelnen Bereiche verbinden. „Das ist also Jaka Itzel“, meint Grimma, während Isengora ganz vorsichtig einen Fuß auf die Brücke setzt, um festzustellen, ob das Gewicht von ihr getragen wird. Grimma schaut in der Zwischenzeit bewundernd auf die ersten Itzel, die ihnen entgegenkommen. „Wir suchen Kaana Miatli. Kannst Du uns sagen, wo wir sie finden?“ Das Gequake der Froschwesen versteht Grimma nicht. Dafür meldet sich Silas. „Danke, im Namen Ameyallis, ich habe verstanden.“ Grimma und Isengora schauen Silas nur verständnislos an. „Die haben doch nur merkwürdig gequakt, was hast Du davon kapiert?“, fragt Isengora. „Ich weiß nicht warum“, kommt von Silas, „aber ich weiß genau, was er gesagt hat.“ Grimma nickt und meint: „Hier bist Du im Vorteil. Geh vor und bring uns zur obersten Itzel hier.“ So setzt sich Silas in Bewegung und nach einigen Schritten gewinnt auch Isengora immer mehr Vertrauen in die Brücken und läuft sicher hinterher. Nach gefühlt drei Etagenwechseln haben die beiden komplett die Orientierung verloren. Nur Silas läuft weiter, so als ob er genau wüsste, wo der Weg entlangführt. Dann steht Kaana Miatli plötzlich vor ihnen. Silas setzt sich im Schneidersitz vor der obersten Itzel hin und sagt: „Ameyalli schenkt Dir ein Lächeln und einen vollen Bauch. Die Jäger sollen jetzt ausschwärmen. Sie werden reiche Beute machen.“ Kaana Miatli setzt sich vor Silas hin und fragt: „Wer ist Ameyalli?“ – „Ameyalli ist die Mutter des Dschungels. Sie sieht alles, sie weiß alles und sie sorgt für uns. Sie hat mich berührt und mir Eure Sprache mitgegeben.“ Kaana Miatli steht wieder auf und ruft: „Die Jäger sollen ausschwärmen, die Zeit der Jagd ist da.“ Anschließend setzt sich die oberste Itzel zurück zu Silas. „Was führt Dich zu mir, Bote von Ameyalli?“ Silas fängt an zu erzählen, wo sie herkommen, von den Eiern, ihren bisherigen Abenteuern und seinem Traum von letzter Nacht. Kaana Miatli hört sich alles genau an, bevor sie sagt: „Der Leichen-Hain ist ein verfluchter Ort. Kein Itzel wird ihn jemals betreten und doch kennen wir seinen Platz innerhalb der Grasgrünen Schwelle genau. Ich werde Dir einen Späher, der Euch führt, und eine Wegbeschreibung mitgeben. Mutter Dschungel wird über Euch wachen.“ Silas bedankt sich und die Gruppe zieht zusammen mit einem Veteran Itzel-Späher weiter.

Ein kurzes Stück Richtung Norden mit dem Gleiter, zum Leidwesen von Grimma und Isengora, und dann den Berg hoch. Den Angriffen der Veteran Tiger versucht die Gruppe so gut es geht auszuweichen. „Das ist eine trächtige Tigerin, deshalb ist sie so aggressiv“, meint Grimma. Das Plateau auf der linken Seite, das voll ist mit Mordrem-Ranken, können sie, wenn es nach dem Späher geht, wohl einfach auslassen. Zumindest geht er wieder den Berg runter, so als ob ihn die Mörder-Ranken nicht interessierten. Der leichte Weg endet aber bald schon wieder und Isengora kommt gewaltig ins Schwitzen, als es links den Berg hoch geht. „Bei der Kraft der Bärin, ich fühle mich wie neunzig und als ob ich mit einem Dolyak gekämpft hätte. Endet das ewige Bergauf und Bergab mal?“ Da tauchen in einiger Entfernung Mordrem auf. Zwei Heiler und zwei Wachbestrafer. „Wir müssen als erstes die Heiler ausschalten“, meint Isengora. „Silas, Du und Isengora, Ihr nehmt den Rechten. Burstet ihn runter, dann schnappt euch den Zweiten. Ich schütze Euch in der Zwischenzeit, so gut ich kann, vor den Wachbestrafern.“ Leise schleichen sie sich weiter ran, um so nah wie möglich an den Gegner zu kommen, um alle Fähigkeiten voll nutzen zu können. Da sprintet Grimmas Tiergefährte plötzlich los und attackiert einen Wachbestrafer. „Bei allen Söhnen Svanirs, warum greift er an Grimma?!“, flucht Isengora vor sich hin. Silas und Isengora greifen den rechten Heiler an, während Grimma im ersten Augenblick damit beschäftigt ist, ihren Tiergefährten auf das vereinbarte Ziel loszuschicken. Da kommt der erste Mordrem-Wachbestrafer nahe an die Gruppe heran. „Grimma, bleib an dem einen Heiler dran!“, ruft Isengora, während sie mit aller Macht versucht, den Wachbestrafer aufzuhalten. Da kommt schon der erwartete Stoß, der alle von den Beinen holt. Mühsam rappeln sie sich wieder auf und während der erste Heiler endlich an den Zuständen stirbt, greift Grimmas Tiergefährte den hinteren Wachbestrafer an. „Bring ihn endlich unter Kontrolle, Grimma!“, schreit Isengora. Silas versucht den Wachbestrafer, der bei ihnen steht, mit einer Eruption zu stunnen, damit sie Zeit haben, ein Stück von ihm wegzukommen. Da läuft der Heiler mitten in die Lavafontäne von Silas und der Tiergefährte von Grimma sorgt endlich dafür, dass er da bis zu seinem Ende drin stehen bleibt. „Ein bißchen Hilfe!“, kommt da der Ruf von Isengora. Sofort konzentrieren sich alle auf den Wachbestrafer, der Isengora niedergeknüppelt hat. Ohne Unterstützung durch die Heiler wird der Erfolg dann endlich sichtbar. Es dauert nicht lange, bis die beiden Mordrem brennend von Pfeilen durchlöchert werden.

Am Ende des Kampfes nutzten alle einen kurzen Moment der Pause, wo sie mit dem Rücken an die Wand gelehnt verweilen, um wieder Kraft zu schöpfen. „Entschuldigt“, kommt da von Grimma, „ich wollte meinen Tiergefährten auf passiv setzen. Stattdessen galt mein alter Befehl: ‚Greif alles an, was du beißen, treten, stechen und mit deinem Kopf weghauen kannst.‘“ Silas lässt in seiner Hand Eis entstehen und verpackt es in ein Blatt, um es sich auf seinen rechten Oberschenkel zu legen. „Das gibt die Urgroßmutter aller blauen Flecke“, meint er nur. „Ich auch“, kommt da stöhnend von Isengora. „Bitte dreimal zum Mitnehmen.“ Silas lacht, stöhnt dann aber wegen den Schmerzen im Oberschenkel sofort wieder auf. Es dauert eine halbe Stunde, bevor sich unsere drei wieder aufraffen können und weiterziehen.

Wenig später kommen sie an eine Brücke, die über einen Abhang hinweg führt. „Nein! Da gehe ich nicht drüber!“ Grimma und Silas schauen Isengora an, während der Itzel-Späher hinüber geht und erst auf der anderen Seite wartet. „Was ist los mit Dir?“, fragt Grimma. „I-Ich …“, stottert Isengora. „‚Ich, ich.‘ Ja, du. Das haben wir verstanden“, macht Grimma weiter. „Ich habe seit dem Sprung aus dem Luftschiff Höhenangst“, vollendet Isengora den Satz. Jetzt ist es raus. „Oh“, kommt da von Silas. „Das könnte hier in diesem Gebiet ein Problem werden.“ – „Wir müssen uns was einfallen lassen“, meint Grimma, „sonst kommen wir nicht weiter.“ – „Okay, wir könnten sie hinübertragen“, meint Silas. Die Charr schüttelt belustigt den Kopf. „Wir beide als Team bekommen sie einen halben Meter weit getragen, bevor wir zusammenbrechen.“ – „He!“, kommt da von Isengora, „Ich habe eine Norn-Traumfigur.“ – „Genau deswegen sage ich maximal einen halben Meter.“ Silas grinst und meint dann: „Okay, andere Idee. Ist es möglich, dass sie auf einem Deiner Tiergefährten rüberreitet?“ – „Klares Nein“, kommt da von Grimma, „zumal das nichts ändern würde, denn sie sieht den Abgrund … Sie sieht den Abgrund, ja, genau das ist es! Isengora, wir verbinden Dir die Augen und führen Dich. Was Du nicht siehst, vor dem brauchst Du keine Angst zu haben.“ – Oh nein! Keiner verbindet mir die Augen.“ Da bricht die Norn plötzlich zusammen und knallt auf den Boden. Schnell schauen sich Silas und Grimma um, doch kein Feind ist zu sehen. Nur der Itzel steht jetzt wieder mit einem Blasrohr auf ihrer Seite der Brücke. „Was hast Du getan?“, faucht Grimma ihn an. Er antwortet nicht, sondern zieht Isengora an ihrer Rüstung über die Brücke. Grimma schaut verdutzt und geht mit Silas ebenfalls über die Brücke. Wenig später wacht Isengora wieder auf. „Du hast es überstanden“, meint Silas. Isengora ist noch benommen, als sie fragt: „Was ist passiert?“ – „Unser Itzel hat Dich mit seinem Blasrohr schachmatt gesetzt und dich dann über die Brücke gezogen.“ – „Mir ist noch schwindelig.“ Silas schaut auf den Itzel und meint: „Das wird aber nicht immer funktionieren.“ – „Das wird gar nicht mehr funktionieren“, kommt da von Isengora. „Wenn ich diesen hüpfenden Froschschenkel in die Finger bekomme …“, doch da hüpft der Angesprochene schon weiter und unsere drei Abenteurer haben Mühe, mit ihm Schritt zu halten.

Kurz vor Ende der Bergstrecke, die, wie Isengora immer wieder betont, immer nur nach oben geht, bleibt der Itzel plötzlich stehen und zeigt nach rechts. Schwarze Bäume, Mordrem und das Stöhnen, das Silas sofort wiedererkennt. „Das ist der Leichen-Hain.“ Der Itzel winkt zu den Worten von Silas, dreht sich um und läuft den Berg runter. „Der Leichen-Hain ist für alle Itzel tabu. Danke, trotz allem“, schreit Isengora hinter ihm her. „Was wollt Ihr hier?“, kommt oben vom Berg plötzlich die Frage. „Und wer seid Ihr?“, faucht Grimma zurück. Wir sind Pakt-Truppen, die gerade diesen Außenposten erobert haben, und jetzt wollen wir den vermoderten Baum im Zentrum dieses Waldes in die Luft sprengen.“ Die drei sind sofort alarmiert. „Wir müssen dort erst etwas herausholen, bevor Ihr sprengt.“ – „Euer Problem, unser Trupp kommt gleich runter und das bedeutet, Ihr habt knapp dreißig Minuten. Wenn Ihr dann noch drin seid …“ Den Rest lässt der Schreihals vom Berg offen, aber Grimma, Silas und Isengora wissen, was gemeint ist. „Was machen wir?“ – „Wir warten“, meint Grimma. Isengora und Silas schauen Grimma ungläubig an. „Ist dir zu warm unter dem Fell geworden oder was ist los?“ Grimma schüttelt den Kopf und meint: „Alles nur eine Frage des Timings. Wenn wir jetzt da rein gehen, werden wir sehr schnell an einen Baum gekettet und was dann passiert, wissen wir. Nein, wir warten, bist die Pakt-Schreihälse gleich unten bei uns sind und anfangen. Das wird die Mordrem so aufscheuchen, dass sie sofort die Pakt-Leute angreifen. Wir warten ab und dann schleichen wir uns rein.“ – „Und wenn wir nicht schnell genug das Ei finden?“, fragt Silas. „Tja, dann besiegt Isengora besser ihre Höhenangst, weil die Bomben uns sehr hochsteigen lassen. Oder wir hoffen, dass das Ei, das Grenth gelegt hat, eine verdammt harte Schale hat.“ Mit einem ziemlich unguten Gefühl in der Magengegend begeben sich die drei in eine Höhle unweit des Holzstammes, der sie später in den Leichen-Hain führen soll. Dort warten sie ab und kurze Zeit später hören sie schon das Rumpeln von Wagen, welche die selbstgebauten Bomben den Berg runtertransportieren.

„Noch nicht“, mahnt Grimma, da sie die Unruhe ihrer Freunde spürt. Die ersten Kämpfe beginnen zwischen den Mordrem Patrouillen, die den Eingang zum Leichen-Hain bewachen, und den Pakt-Soldaten. Als dann die Bombenleger den Baumstamm überqueren, schleichen unsere drei Abenteurer hinterher und am Rande des Waldes verschwinden sie dann zwischen den Bäumen und suchen sich dort ihren eigenen Weg. „Da“, ruft Isengora, „sie bringen die ersten Bomben am Baum an.“ – „Ich sehe das Ei!“, meint Silas plötzlich und stürmt los. „Jetzt sehe ich es auch“, kommt da von Grimma, die den Bogen von der Schulter zieht. „Was hast du …“, doch Isengora kann den Satz nicht beenden. Grimma schießt und ihr Pfeil landet neben Silas, der abrupt stehen bleibt und dann erst die Made sieht, die von oben den Baum runtergerutscht ist. Schnell greift Silas in den Hohlraum des Baumes, als Isengora und Grimma bei ihm ankommen. „Das Ei von Grenth!“, ruft er triumphierend. Da ertönt das Signal zur Sprengung! Alle drei reißen die Asura-Map aus der Tasche und drücken wahllos auf eine Wegmarke. „Bitte bestätigen Sie die Zahlung …“ Das Letzte, was sie sehen, ist eine Feuerwand, und Isengora glaubt, die Druckwelle zu spüren, als es vor ihren Augen schwarz wird.