Ostern 2018: Geschichte – Ei 5: Dwayna

20. Das erste Mal Alkohol!

Ungläubig schaut Isengora an ihrer Rüstung runter. „Wow, das war knapp. Und wo beim Bart von Knut Weißbär bin ich denn hier gelandet?“ Die Norn spaziert zum Zelt und fragt: „Vermag mir einer zu sagen, wo ich hier bin?“ – „Wohl zu viel getrunken, was? Und das in dem Alter. Du bist bei der Wegmarke Pagga in Malchors Sprung.“ – „Doppel-Wow, einer der letzten Orte, die ich im Sinne hatte, aber immer noch besser, als die Bomben von vorhin.“ – „Sag mal“, kommt da die Frage von einem Pakt-Soldaten, „bist du öfter so tierisch betrunken und wenn ja, habe ich die Chance, auch was von dem Fusel abzubekommen? Muss ja echt geiles Zeug sein, wenn du vergisst, wo du bist.“ Isengora schüttelt den Kopf und nimmt ihre Asura-Map raus. Dann fängt sie an zu grübeln. Wir haben nie darüber gesprochen, wo wir uns in so einem Fall treffen würden. Mein erster Gedanke wäre das Waisenhaus. Im Kopf sieht sie Silas und Grimma nicken und schon drückt sie auf die Wegmarke Salma. „Die Kosten für den Transport belaufen sich auf 3,07 Silber. Bitte bestätigen Sie Ihre Reisepläne mit Ja. Vielen Dank. Das Asura-Transportsystem wird die angeforderte Teleportation jetzt ausführen.“

Grimma ist mitten im Sprung, als die Wegmarke sie wieder ausspuckt. „He, was soll das?“, kommt da die Frage. „Diese Jugend, keine Rücksicht. So ein Rüpel! Wo sind die Wachsamen, wenn man sie mal braucht? Also wirklich. Typisch Charr!“ Mit gesenktem Blick versucht Grimma sich von dem Ort zu entfernen. Erst als sie bei drei Gebäuden um die Ecke gelaufen ist, nimmt sie sich Zeit, kurz zurückzublicken. Löwenstein, eindeutig, aber wo sind die anderen? Wir haben uns nie überlegt, wo wir uns wiedertreffen, wenn wir uns mal verlieren. Als Gemeinsamkeit haben wir Götterfels und das Waisenhaus. Ob ich mich am besten dort hinbegebe? Nach einigem Zögern nimmt Grimma die Asura-Map wieder aus der Tasche und klickt auf die Wegmarke Salma. „Die Kosten für den Transport belaufen sich auf 2,04 Silber. Bitte bestätigen Sie Ihre Reise mit Ja. Vielen Dank. Das Asura-Transportsystem wird die angeforderte Teleportation jetzt ausführen.“

Als Silas die Augen wieder aufmacht, steht er neben einem Baumhaus. In einiger Entfernung sieht er Kaana Miatli. „Bitte komm näher, Bote von Ameyalli. Dank Deiner und Ameyallis Hilfe haben wir genug zu essen und wir vermochten viele Mordrem zu besiegen heute Nacht. So wollen wir feiern und dass Du genau jetzt erscheinst, ist ein Zeichen. Ameyalli schickt Dich zu uns, damit Du mit uns zusammen Mutter Dschungel ehren kannst.“ Silas wird nervös, weil er keine Zeit hat, aber Kaana und die umstehenden Itzel lassen ihm nicht den Hauch einer Wahl. Es wird Essen serviert und Wein und Silas bekommt zum ersten Mal in seinem Leben einen Rausch. Die Itzel singen und der Hohepriester dankt Ameyalli für die Gaben und das Jagdglück. Erst am späten Abend, als es schon wieder dunkel wird, erlauben die Itzel Silas, das Fest zu verlassen. Mehr schwankend als stehend nimmt er die Asura-Map heraus und versucht mit seinem Zeigefinger auf den Wegpunkt Salma zu klicken. Die Frage nach irgendwelchen Transportkosten versteht er nicht, aber er klickt einfach mal auf Ja. Als er dann aus der Wegmarke nach dem Transport heraustritt, kommt er noch zwei Schritte weit, bis die Müdigkeit und der Rausch ihn endgültig auf der Strasse landen lassen, um zu schlafen.

Als Silas aufwacht, liegt er ausgezogen in einem weichen Bett. Die Rüstung befindet sich neben ihm und er reibt sich erst mal die Augen, die noch immer ziemlich verklebt sind vom Schweiß des Dschungels. Dann setzt die Erkenntnis ein und er fährt schlagartig hoch, nur um sofort wieder mit höllischen Kopfschmerzen ins Bett zurückzusinken. Ich bin im Waisenhaus, stellt er fest, während er die Augen geschlossen hält. Verdammt, was ist passiert? Erst nach und nach sortieren sich die Gedanken. Als er bei der Party ankommt und an den Wein denkt, dämmert ihm, woher sein Zustand kommen könnte. Ich werde nie wieder trinken, schwört er sich in diesem Augenblick. Es dauert dann auch eine halbe Stunde, bis er sich soweit fühlt, dass er aufstehen kann. Mit vorsichtigen Bewegungen schlurft er unter die Dusche und wählt bewusst kaltes Wasser. Ein Aufschrei und einige zappelnde Schritte später hat er sich dran gewöhnt und er merkt, wie es ihm hilft, wach zu werden. Es sind schätzungsweise zehn Minuten vergangen, als er die Dusche wieder abstellt, um sich anzuziehen. Da der Hunger mittlerweile erwacht ist, führt sein Weg in den Gemeinschaftsraum, wo er tatsächlich auf die Norn und Grimma trifft. „Ich bin entsetzt, Silas! Das hätte ich ja nie von Dir gedacht“, meint Isengora. „Ich war mir immer sicher, ich habe meinen ersten Bierrat vor Dir und jetzt so was.“ Während Grimma grinst, schaut Silas zerknirscht. „Das war nicht geplant und nicht gewollt.“ – „Was ist denn passiert?“, fragt Isengora neugierig nach und so fangen sie abwechselnd an, sich gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen. Zum Schluss holt Silas das Ei von Grenth aus der Tasche. Es verströmt eine Eiseskälte und alle haben das Gefühl, dass das Licht in dem Zimmer sich etwas verdunkelt. „Wir müssen das Ei von Dwayna holen und dann führt unser Weg weiter zu Ogden Steinheiler“, kommt von Grimma. „Wann ist Abmarsch? Ich würde gerne kurz zu Kaia“, meint Silas, aber da kommt Ihan auf die drei zu und schüttelt den Kopf. „Kaia ist heute Nacht in Stufe drei übergegangen. Sie fantasiert und hat hohes Fieber. Bitte, Ihr vermögt Kaia am meisten zu helfen, in dem Ihr schnellstmöglich das Ei der Dwayna holt, damit es Ogden hoffentlich so verändern kann, dass es Kaia heilt.“ Silas springt auf und ruft: „Worauf warten wir?“ – „Na, bis vorhin darauf, dass Du Deinen Rausch ausschläfst“, meint Grimma mit einem Grinsen.

Wenig später sind die drei wieder unterwegs und das erste Ziel ihrer Reise ist das Fort der Dreifaltigkeit. Von dort aus führt der Weg sie nach Norden durch den Mahlstromgipfel in die Baumgrenzen-Fälle. Dort, in Okarinuu, der Unterwasserstadt der Quaggan, dort versteckt sich das Ei der Dwayna. Als die Wegmarke sie materialisieren lässt, führt sie ihr erster Weg wieder zu Agent Crandle. „Oh, so schnell hatte ich Euch nicht zurückerwartet. Ich habe gehört, dass Ihr beim Tempel der Melandru gewesen seid. Hattet Ihr Erfolg?“ Grimma nickt. „Aber deswegen sind wir nicht hier. Wir brauchen ein Karten-Update für unsere Asura-Map. Wo bekommen wir dies am schnellsten?“ – „Mhh, ich denke, Ihr wollt wissen, wo die letzten Kämpfe aufgeflammt sind, um diese dann zu umgehen, um Zeit zu sparen. Sehr klug von Euch. Gut dann schaut am besten bei den drei Spähern hier vorbei. Sie sind aktuell im Norden, nur wenige Schritte von hier. Sie werden Euch das Karten-Update geben.“ Die drei bedanken sich und besuchen die Späher, um sich die neusten Informationen zu holen. Anschließend verlassen sie die Festung über den Hauptausgang und biegen dann nach der Brücke in Richtung Norden ab. Ihr Ziel ist die Wegmarke Dornenpass mit dem Grenzübergang, den sie eine Stunde später erreichen. „Wehe es wird wieder so warm wie im Dschungel“, droht Isengora. „Gewöhn dich gleich dran“, meint Grimma. „Warum?“ – „Weil in diesem Gebiet der Mahlstromgipfel liegt und Du weißt, was das bedeutet?“ – „Das Ei Balthasars ist hier zu finden, tief im Inneren eines Vulkans“, antwortet Isengora düster.

Bis auf wenige Begegnungen mit Raptoren verläuft jener Teil der Reise ereignislos, ja fast schon langweilig. Aber alle drei hüten sich davor, etwas in dieser Richtung zu sagen, denn sie erinnern sich noch sehr genau, was beim letzten Mal passiert ist, als sie einen kleinen Schlenker vollführt haben. Silas hat damals nur knapp und mit viel Hilfe überlebt. Der Wunsch nach einer Wiederholung ist dann doch eher gering. Am Finstertal vorbei kommen sie abends bei einem Lager der Abtei in der Richtwert-Schlucht an. Historikerin Flinkzahn begrüßt die drei und bittet wenig später zum Essen am Lagerfeuer, was unsere Helden gerne annehmen. Dabei kommt die Frage auf, was die Abtei hier macht, und so erzählt die Historikerin, dass sie versuchen, den Sinn der Ruine zu entschlüsseln. „Eine Forscherin hat eigenartige Schriften entdeckt und versucht diese zu entschlüsseln. Allerdings …“, die Historikerin macht eine kurze Pause, „gibt es da ein Problem. Immer wieder nachts, wenn wir schlafen, kommt etwas und verändert unsere Grabungen. Die Forscher meinen, dass es groß ist, denn es hinterlässt tiefe Spuren. Außerdem vermuten die Abtei-Gelehrten, dass es mehrere Füße oder Beine haben könnte. Dazu kommt, dass wir immer wieder bestohlen werden, aber keiner weiß, wie und wann.“ Grimma schaut Isengora an, die sofort nickt. Silas, der den Blick verfolgt hat, ahnt bei seiner Beobachtung nichts Gutes. „Historikerin, spricht etwas dagegen, wenn wir in den Ruinen übernachten?“ Silas verzieht das Gesicht, kommentiert das Ganze aber nicht. „Das wäre großartig“, meint Historikerin Flinkzahn. „Wenn Ihr wollt, kommen wir morgen mit einem leckeren Frühstück vorbei und hören uns an, was Ihr herausgefunden habt.“ Grimma stupst Silas an und meint: „Komm, großer Held, das Abenteuer fängt an. Du hast es gehört, wir dürfen einen Dieb fangen und ein riesiges Monster töten.“ Die Begeisterung steht Silas ins Gesicht geschrieben.

Zum Leidwesen von Isengora müssen sie, um zur Ruine zu kommen, eine Hängebrücke überqueren. Silas nimmt das sofort zum Anlass, um Isengora damit aufzuziehen, während diese vorsichtig Schritt für Schritt prüft, ob die Brücke sie auch hält. Als dann anschließend alle drüben sind, entscheiden sie sich, direkt unter einem Dach der Ruine zu übernachten. Isengora übernimmt die erste Wache, dann Grimma und zum Schluss kommt Silas. Während die anderen sich zum Schlafen zurückziehen, geht Isengora ein Stück weit nach vorne auf eine Art kleines Plateau und zündet sich dort ein Feuer an. Dann stimmt sie ein Lied in ihrem Kopf an, dass ihre Mutter ihr beigebracht hat und ein wenig, nur ein ganz klein wenig, fühlt sie sich wieder wie früher, als sie mit ihrer Mutter am Kaminfeuer saß und Papa seine Geschichten erzählte von dem, was er erlebt hatte. So vergeht über eine Stunde, als Isengora plötzlich ein Knacken hört. Äste brechen unter Gewicht. Es raschelt und es gibt Geräusche, als ob zwei Zangen aneinander reiben.

Langsam steht Isengora auf und dreht sich um. Vor ihr hat sich eine riesige Champion Spinne aufgebaut mit zwei kleinen Veteranen an ihrer Seite. Die Zangen von ihrem Mund klackern und Isengora fragt sich in diesem Moment: Ist das ein Freundschaftsangebot oder willst Du mich als Dein Abendessen? Da hebt die Spanne ein Bein und wirft Isengora um. „Okay, das ist keine Freundschaftsanfrage. Grimma! Silas! Ich habe eine Freundin gefunden. Kommt und begrüßt sie bitte!“ Isengora sieht aus dem Augenwinkel wieder ein Bein heranrasen. Gedankenschnell wirbelt sie zur Seite. Da kommt ein Tiergefährte von Grimma und attackiert die Riesenspinne. Prompt schlüpft Isengora unter den Beinen der Spinne durch, nur um bei den Veteranen Spinnen zu landen. „Na wunderbar, wenigstens stehe ich Euch Auge in Auge gegenüber. Wobei, wie viele habt Ihr eigentlich davon?“ Die Spinnen verstehen nichts von Isengoras Gerede und gehen zum Angriff über. Mit einer Wächterwall blockt Isengora die Attacken. „Alles klar bei euch?“, ruft sie kurz rüber. „Wir sind stinksauer auf Dich, nur dass Du es weißt“, kommt da von Grimma. „Warum denn das?“ – „Weil du uns aus dem Schlaf gerissen hast, wegen drei Spinnen. Also wirklich, die Vernichterin von Scarlet Dornstrauch braucht bei so was Hilfe?“ – „Hört auf zu spotten, aber es klingt, als ob Ihr Euren Spaß habt.“ – „Ja genau, wir haben nur eine Spinne, du dafür zwei, aber naja, wir haben Mama abbekommen.“ – „Interesse zu tauschen?“, ruft Isengora zwischen zwei Angriffen. „Nein, nein“, kommt da von Grimma, „ich will es grade fragen, ob es nicht Interesse hat, mein Tiergefährte zu werden.“ Durch die Attacken wird es taghell in dem Gebiet und die Umrisse der Gegner zeichnen sich als riesige Schatten an den Wänden ab, doch dann ebbt der Kampflärm langsam ab und die Riesenspinne, genau wie ihre Begleiter, haben den Kampf verloren. Grimma und Silas ziehen wieder unter das Dach der Ruine und Isengora kehrt zurück an ihr Lagerfeuer. Das erste Rätsel ist gelöst. Ob das mit dem Diebstahl ebenfalls von uns geklärt werden kann? Einige Stunden später fallen Isengora schon die Augen zu, als Grimma mit der Pfote auf ihre Schulter klopft und meint: „Geh schlafen. Ich passe jetzt auf.“ So zieht sich Isengora zum Schlafplatz zurück und Grimma setzt sich an das Lagerfeuer.

Auch die Charr denkt an ihre Heimat. Wie lange ist Brandor damals mit seinem Trupp durch die Flammenkamm-Berge gezogen? Ist es bei uns genauso wie bei einem Charr-Trupp? Wir können uns aufeinander verlassen und wir würden unser Leben für den anderen opfern. Kann man sich mehr wünschen? Da erscheint plötzlich in unmittelbarer Nähe von Grimma eine Truhe. Reicht verziert auf der Oberfläche, sieht sie wie eine Schatzkiste aus. Vorsichtig nähert Grimma sich der Truhe und versucht den Deckel hochzuheben, als eine Skritt aus der Kiste springt und anfängt, alles im Umkreis, was die Forscher liegengelassen haben, auf zu sammeln. „Du bist die Diebin!“, meint Grimma und mit einem eleganten Satz in Richtung der Skritt nimmt sie die Verfolgung auf. Diese weicht geschickt aus und verliert etwas aus ihrem Sammelbeutel. Da ruft Grimma: „Haltet die Diebin!“ – „Was ist los?“, kommt von oben die verschlafene Stimme von Isengora. „Die Diebin ist hier, beeilt euch. Wir müssen sie fangen, bevor sie verschwinden kann. Achtung, sie ist eklig schnell und hat einige faule Tricks drauf.“ Aus der Entfernung verkrüppelt Silas die Diebin mit einer Eruption, um anschließend mit einer Stoßwelle nachzulegen. Grimma nutzt ihre Bogen-Fähigkeiten, um die Verkrüppelung ständig aufrechtzuerhalten, damit sie weiter Schaden auf die Diebin verursachen können. „Verdammt, die ist flink und zäh“, meint Grimma. „Da vorn ist ihr Fluchttunnel! Beeilt euch! Entweder jetzt oder sie ist weg“, ruft die Charr. Da trifft Silas sie mit einem letzten Feuerball, und der Rucksack, den sie zum Sammeln ihrer Beute dabei hatte, zerreißt. „Plan gescheitert!“, hören die drei, als die Skritt in ihr Fluchtloch verschwindet. „Die Diebin haben wir nicht erwischt, aber wenigstens ihre Beute“, meint Silas. Isengora schwingt den kaputten Sack notdürftig über ihre Schulter und gemeinsam machen sie sich auf den Weg zurück zu ihrem Schlafplatz. Ihre letzten Worte lauten: „Das Frühstück haben wir uns morgen echt verdient“, um dann schnell einzuschlafen. Kurze Zeit später fängt sie so laut an zu schnarchen, dass für die beiden anderen an Schlaf nicht zu denken ist. So setzen sich Silas und Grimma ans Lagerfeuer. Während Grimma wieder an Zuhause denkt, beobachtet Silas die Sterne und den Doppelvollmond. „Morgen erreichen wir Okarinuu“, schätzt der Blondschopf so bei sich, „dann holen wir uns das Ei der Dwayna“.

Als die Sonne dann am nächsten Morgen durch die Berggipfel scheint, gibt es wie versprochen das besondere Frühstück. Die Historiker freuen sich aufgrund der abgewendeten Gefahr der Riesenspinne genauso, wie sie jetzt endlich wissen, wer ihnen das Werkzeug klaut. Mit vollen Bäuchen und vielen guten Wünschen, starten unsere drei eine Stunde später den nächsten Abschnitt ihrer Reise. Dabei nutzten sie unterwegs intensiv ihre Abbauwerkzeuge, weil die Möglichkeit, an Platin zu kommen, auf diesem Weg doch verführerisch häufig geboten wird. Als sie die Govoran-Terrassen erreichen, biegen sie nach Osten ab in Richtung Dilemma-Riss. Wenig später treffen sie dabei auf ein kleines Dorf, das vom Albtraumhof besiedelt ist. Um Zeit zu sparen und auch auf unnötige Auseinandersetzungen zu verzichten, gehen Isengora, Silas und Grimma etwas mehr rechts rüber in Richtung der Steilhänge, so dass die Albtraum-Höflinge sie gar nicht erst bemerken. Im weiten Bogen nehmen sie dann den Aufstieg, so dass das Dorf der Albtraum-Sylvari links unter ihnen zurückbleibt und sie gegen Mittag den Dilemma-Riss erreichen. „Was ist das denn?“, fragt Isengora. „Der wild zusammengewürfelte Haufen von Schrott sieht eindeutig nach einer Skritt-Behausung aus. Aber gleichzeitig sehe ich Asura-Technologie und Teile eines Tempels, wie an der Stelle, wo wir zuletzt übernachtet haben.“ Schon kommt ihnen eine Skritt-Horde entgegen. „Ich bin Rachip‘atopa. Wir sind Wachposten für Eingang 1 und achten auf Untote und böse Pflanzen.“ – „Auf bitte was?“, meint Grimma. „‚Böse Pflanzen‘, damit meinen sie die Albtraum-Höflinge, die wir vorhin gesehen haben“, antwortet Silas. „Kommt, wir müssen weiter“, meint Isengora. Nach wenigen Schritten bleibt sie allerdings überrascht schon wieder stehen. „Bei Beigarths Rüstung, die Skritt haben hier eine riesige Brauerei gebaut! Ob ich einen Schluck bekommen kann?“ – „Nein!“, kommt da von Silas und Grimma gleichzeitig. „Als erstes wissen wir nicht, wie Du auf Alkohol reagierst, und zweitens haben wir keine Zeit.“ – „Aber Ihr würdet ja auch einen Schluck abbekommen“, begehrt Isengora auf, doch die zwei kennen kein Erbarmen und laufen weiter. Als sie wenig später am Eingang 2 den Dilemma-Riss wieder verlassen, fällt ihnen ein Bauwerk auf. Es sieht teilweise nach der Bauart der Asura aus, teilweise aber auch sehr klobig. Es ist irgendwie keinem Volk zuzuordnen. Auf dem weiteren Weg bleibt es dann erstaunlich ruhig. Ein laufender Untoter auf der einen Seite, ein Warg auf der anderen, aber nichts, was unsere drei auch nur annähernd ernsthaft gefährden könnte. Schließlich erreichen sie die Wegmarke Zerbrochener Pfeil und damit den Durchgang zu den Baumgrenzen-Fällen. Okarinuu, die Stadt der Quaggan, ist nah.

21. Huuu, Quaggan mag Euch

Nach dem Durchgang erreichen unsere drei schnell das Kastell Immerdar, wo sie von den Recken der Wachsamen unwirsch begrüßt werden. Selbst die Mitarbeiter der Abtei Durmand, die den Wachsamen folgen, sind scheinbar ihrer üblichen Freundlichkeit entwöhnt worden. Überall liegen Tote herum, die darauf warten, verbrannt zu werden. Dazu kommt dieser Geruch nach Verwesung. „Und hier soll das Ei der Dwayna zu finden sein?“, fragt Silas zweifelnd. „Wir müssen ein ganzes Stück weiter nach Osten“, meint Isengora. So lassen sie das Kastell relativ schnell hinter sich, nicht ohne die eine oder andere Leiche zu verbrennen. Es läuft schon genug Untotes hier herum, denkt die Norn. Auf ihrem weiteren Weg achten sie stets darauf, am Rand der Berge zu bleiben, um Gegnern nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten. Nach einigen Kilometern wechselt die Ebene dann in eine Gebirgslandschaft, wo die drei in einiger Entfernung die erste Harpyie lauern sehen. „Eine Jägerin“, meint Grimma. „Isengora, wir brauchen einen Schild, welcher ihre Pfeile abwehrt, denn Rest mache ich schon.“ So kümmert sich die Wächterin um den Schutz, während Silas in der Zwischenzeit in aller Seelenruhe seine Tasche sortiert. Ein „Faulpelz“ kommt von Grimma, als sie anlegt und einen Pfeilangriff nach dem anderen startet. Damit die Harpyie gar nicht erst näher kommt, blockt der Tiergefährte von Grimma sie auf ihrer Position. „So, Vorfall erledigt“, komm da von der Charr, als Silas plötzlich meint: „Bist Du sicher?“ Da greift sie ein ganzer Schwarm von Harpyien an. „Hast Du ein Nest aufgescheucht oder was ist passiert?“, fragt der Junge. „Egal“, faucht Grimma, „es wäre gut, wenn Du mitmachen würdest.“ Der Blondschopf schnappt sich schnell seinen Stab und es entbrennt eine wilde Schlacht. Isengora hat mehr als genug Arbeit, die beiden zu schützen und ihnen Macht zu geben. Silas wechselt ständig zwischen Luft- und Feuereinstimmung, während Grimma ihren Bogen sprechen lässt. Es dauert eine ganze Weile, bis der Kampf endet und sie tatsächlich zwei Nester finden. „Kein Wunder, dass plötzlich so eine große Anzahl von ihnen da war. Wir sind in ihr Revier eingedrungen.“ Am höchsten Punkt der Bergkette zeigt Isengora dann Richtung Wasser. „Wir müssen runter in den Nonmoa-See, von dort aus führt eine Höhle in die Unterwasserstadt.“ – „Ähhh, wollt Ihr nicht lieber alleine tauchen?“, fragt Grimma. „Ich kümmer mich solange um unsere Ausrüstung.“ Isengora grinst. „Was hast Du gesagt, als ich nicht über die Hängebrücke gehen wollte? Stell dich nicht so an? Was habt Ihr mit mir gemacht? Ihr habt mich betäubt.“ – „Moment“, meint Grimma, „das war der Itzel!“ – „Mag sein“, kommt da von Isengora, die verdächtig mit ihrem Stab herumwedelt, „aber habt Ihr es verhindert?“, fragt die Norn mit einem gefährlichen Unterton. Grimma hasst als Charr das Wasser, aber sie sieht ein, dass sie diesmal nicht darum herum kommt. Also setzt sie wie die anderen ihre Atemmaske auf und läuft Richtung Wasser. „Keine Sorge Grimma“, spottet Isengora, „Silas kennt den Weg und schwimmt vor. Und damit uns nichts passiert, bleibe ich immer hinter Dir.“ Das fiese Grinsen von Isengora kann Grimma in ihren Ohren hören neben dem Platschen ihrer Pfoten, die sie immer tiefer ins Wasser tragen.

Silas schwimmt, kurz nachdem sie in den See eingetaucht sind, durch zwei Steinplatten durch und so kommen sie schnell nach Okarinuu. Dort werden sie schon sehnsüchtig von Häuptling Neootek erwartet. „Fuuuuu, bitte Hilfe. Böse Krait versuchen, Quaggan zu fangen.“ – „Warum wollen sie Euch fangen?“, fragt Silas. „Quaggan sollen arbeiten für Krait und geopfert werden für Krait-Propheten. Krait sagen, der namenlose Prophet wartet in einer anderen Welt und sammelt Krieger, um dann in diese Welt einzufallen. Quaggan werden geopfert, um namenlosen Propheten zu ehren und in der anderen Welt zu dienen.“ Die drei schütteln nur den Kopf. „Was für eine traurige Lehre, welcher die Krait nachhängen.“ – „Da!“, ruft der Häuptling. „Die Krait kommen wieder nach Okarinuu, um Quaggan zu fangen. Bitte helft Quaggan!“ Isengora, Grimma und Silas beraten sich kurz. „Wir haben zwei Eingänge. Teilen wir uns auf oder bleiben wir zusammen?“ – „Ich würde zusammen bleiben“, meint Silas. Grimma nickt und so schwimmen sie zu der einen Seite, wo die Krait schon mit Netzen versuchen, die Quaggan einzufangen.

Während Silas und Isengora kaum unter Wasser Schaden machen können im Vergleich zum Landkampf, schlägt hier die Stunde von Grimma. Zusammen mit ihrem Tiergefährten greift sie auf die Unterstützung von Piranhas zurück. Die kleinen, gefräßigen Fische knabbern das Fleisch von den Wirbeln der Krait. Entweder verbluten sie dabei oder sie werden im wahrsten Sinne aufgefressen. Isengora und Silas unterbrechen kurz ihre Angriffe, um Grimma und ihren Piranhas bei ihrem gruseligen Spiel zuzuschauen. „Das ist ja der Wahnsinn. Die haut alles weg hier unten“, meint Isengora. „So was habe ich noch nie erlebt.“ – „Macht den Mund zu“, kommt da von Grimma.

Die Krait sind auf der anderen Höhlenseite aufgetaucht. Schnell wechseln sie die Seite und wieder lässt Grimma ihre Piranhas los. Diesmal noch verstärkt durch die Macht von Isengora haben die drei den Eindruck, die Fische würden wachsen und ihre Zähne dazu. Der Kampf geht ein paar Mal hin und her, bis die Krait merken, dass diesmal nichts zu holen ist. Am Ende ziehen sie sich geschlagen zurück und unsere drei schwimmen wieder zum Häuptling Neootek. „Huuu, schöne Zähne“, werden sie begrüßt. Silas ist verwirrt: „Meint er jetzt die Zähne der Piranhas?“ – „Mellaggan hat uns mitgeteilt, dass Ihr kommen würdet.“ – „Wer ist Mellaggan?“, fragt Grimma. „Mein Vater hat mir davon erzählt“, berichtet Isengora. „Mellaggan ist die Göttin des Wassers für die Quaggan. Sie kennen und akzeptieren keine anderen Götter neben ihr.“ – „Was hat Mellaggan sonst noch gesagt, Häuptling Neootek?“, will Silas wissen. „Huuu , Ihr kommt, um das Geschenk von Mellaggan abzuholen.“ – „Ein Geschenk?“, fragt Silas mit Neugier und Nervosität in der Stimme zurück. „Fuuuu, böse Krait-Hexe hat es gestohlen und benutzt es oben in ihrem Turm.“ – „Wie sah der Gegenstand aus Neootek?“, fragt Isengora. „Huuu, er sah aus wie ein Quaggan-Ei, nur weiß und strahlend.“ – „Ich habe es geahnt“, kommt da von Grimma. „Das bedeutet, wir müssen zu der Krait-Hexe und ihr das Ei abnehmen.“ – „Fuuuuu, böse Hexe. Seid vorsichtig.“ – „Neootek, kannst Du uns sagen, wo die Hexe ist?“ – „Fuuuu, die böse Hexe lebt mitten auf dem See im großen Baumhaus.“ – „Ein Baumhaus mitten auf dem See?“, fragt Isengora. „Huuuu, großes Baumhaus.“ Die drei bedanken sich und schwimmen aus dem Dorf wieder raus in Richtung Norden.

Als sie an der Wasseroberfläche auftauchen, um sich umzusehen, bemerken sie in einiger Entfernung schon das „Baumhaus“ der Hexe. Dazu sehen sie noch viele Krait, die es bewachen. „Das wird nicht einfach“, meint Isengora. „Machbar“, kommt von Grimma, „unter Wasser machen die Piranhas die Arbeit und über Wasser beim Baumhaus schaffen wir es zusammen als Team.“ – „Also“, meint Silas, „dann lasst uns mal los.“ So schwimmen die drei in Richtung vom Holzturm. Als sie näher herankommen, stellen sie fest, dass der Turm scheinbar aus alten Schiffen besteht, die versunken sind und in Teilen wieder neu zusammengesetzt wurden. Unter Wasser gehen die Kämpfe sehr schnell. Sobald Grimma die Piranhas aussetzt, verfärbt sich das Wasser blutrot und der Krait, der sie angegriffen hat, ist verschwunden. Am Turm warten dann auf den Holzplanken drei weitere Krait auf neugierige Ankömmlinge. Silas blutet sehr schnell, Isenogora fühlt sich schwach, während Grimma im Gesicht grün anläuft. „Zustandsschaden! Isengora, halt uns den Rücken frei“, ruft Silas, „ich mache den Krait Feuer unter ihren schuppigen Hintern.“ – „Verstanden!“ Isengora kümmert sich nur noch darum, die Zustände der Krait sofort wieder runterzunehmen, während Grimma sie auf dem Holzboden festnagelt mit ihren Pfeilen und Silas sie ansteckt. Der Geruch ist bestialisch und so versuchen sie so schnell wie möglich die jeweilige Plattform zu verlassen und weiter nach oben zu kommen. Etage für Etage, Holzbalken für Holzbalken, kommen sie vorwärts und Isengora merkt schon wieder, wie ihr schwindelig wird. „Schau nur auf Silas“, kommt da von Grimma. „Schau auf seinen Rücken und seinen Kopf. Geh da lang, wo er lang läuft. Du schaffst das!“ Es fängt an zu regnen und zu stürmen. Die Hexe bietet alle Kräfte auf, um den See in ein schäumendes Ungetüm zu verwandeln. Von oben schreit sie runter „Hylek und Quaggan in Krait-Gewässern werden leiden und sterben.“ Isengora kann sich kaum auf den Balken halten. „Wir sind fast dran“, schreit Grimma gegen den Sturm an. Noch ein Balken und eine Plattform. Da kommt Unterstützung von anderen Abenteurern, die auch die Hexe erledigen wollen. Drei weitere Abenteurer stürmen an unseren Helden vorbei und beginnen, die Hexe anzugreifen. Diese wehrt sich verzweifelt und macht den dazugekommenen Abenteurern das Leben schwer. Der eine fällt in den Downedstate und als Isengora das sieht, zuckt sie zusammen und stürmt trotz ihrer Höhenangst los. Sie drängt sich auf dem Balken an Silas und Grimma vorbei und springt zu dem Abenteurer, der am Boden liegt. Sofort verbindet sie seine Wunden und versucht ihn soweit wie möglich zu heilen. „Na los, worauf wartet Ihr?“, schreit sie den anderen zu. „Macht die Hexe endlich fertig!“ Das ist das Signal für Silas und Grimma zusammen mit der Verstärkung einzugreifen. Mit voller Wucht gehen sie in die Schlacht und geben alles. Die Hexe merkt, dass es schwierig wird für sie. Sie holt andere Krait zur Unterstützung und zur Ablenkung. Doch die ganze Gruppe gibt nicht auf. Vier halten weiter voll drauf auf die Hexe, während die zwei anderen sich um die ankommenden Krait kümmern. Diesmal fällt Grimma in den Downedstate und Silas sowie Isengora müssen kurz unterstützen, um sie wieder hochzuziehen. „Weiter“, ruft Silas keuchend, „wir schaffen es. Sie kann sich kaum noch auf den Schuppen halten.“ Mit ihrer blinden Wut schlägt die Hexe nur noch um sich, bevor der letzte Pfeil von Grimma sie endgültig zu dem namenlosen Propheten schickt. Die anderen Abenteurer bedanken sich für die Hilfe, verschwinden dann aber schnell aus dem Blickfeld. Silas, Grimma und Isengora setzen sich in Richtung der Kiste, welche die Hexe bewacht hat, in Bewegung und als Silas niederkniet, springt die Schatulle von alleine auf und das Ei der Dwayna kommt herausgeschwebt. Silas zeigt dem Ei zwei offene Handflächen und das Ei schwebt hinein und legt sich dort ab. Alle schließen die Augen und danken Dwayna. Selbst Grimma, die nicht an Götter glaubt, macht mit. „Das Ei der Dwayna“, meint Silas. „Wir müssen so schnell wie möglich zu Ogden Steinheiler.“ – „Weißt Du, wo der alte Zwerg lebt?“ Silas nickt: „Unser nächster Weg führt uns zur Abtei Durmand.“

22. Um zu leben, muss ein anderer sterben!

„Moment!“ – „Weißt Du, was los ist?“, fragt Grimma mit Blick auf Isengora. Doch diese schüttelt nur den Kopf. Dabei waren sie nur Sekundenbruchteile davor gewesen, ihre Reise zur Wegmarke Nebelriss-Klamm zu bestätigen, als Silas sie mit seinem Ausruf stoppte.

„Was ist denn los? Ich dachte, wir wollen so schnell wie möglich zu Ogden Steinheiler.“ Da nickt Silas und kramt dabei weiter in seinen Taschen herum. „Moment, gleich habe ich sie.“ – „Hast Du eine Ahnung, was er sucht?“, fragt Isengora, doch diesmal schüttelt Grimma den Kopf. „Ich hab sie!“, ruft Silas freudestrahlend aus und hält ein paar hässliche Wollsocken hoch. „Ich wusste doch, dass sie mir noch nützlich sein werden.“ Während Grimma den Kopf schüttelt, stöhnt Isengora laut auf. „Das ist doch jetzt nicht Dein Ernst oder?“ – „Doch“, meint Silas mit einem Lächeln auf den Lippen. „Hört mal, es ist Zeit des Kolosses. Es schneit, es friert und wir reisen wieder in die Zittergipfel. Ich habe eine leichte Stoffrüstung, die im Sommer geil ist, weil ich da kaum ins Schwitzen komme, aber im Winter frier ich mir die Füße ab. Mit den Socken ist mir wärmer.“ Grimma und Isengora schütteln weiter ihre Köpfe, aber gleichzeitig nehmen sie wieder ihre Asura-Maps in die Hand und bestätigen die Wegmarke Nebelriss-Klamm. „Die Reise zur Wegmarke Nebelriss-Klamm kostet 2,34 Silber. Bitte bestätigen Sie Ihren Reisewunsch mit Ja.“ In dem Augenblick, wo die beiden mit Ja bestätigen wollen, ruft Silas wieder: „Moment!“ – „Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragt Isengora. „Ich überlege grade, ob ich nicht noch besser den hässlichen Wollpullover anziehen soll“, meint Silas. Da nimmt er aus den Augenwinkeln wahr, wie Isengora den Stab hebt, und ihn beschleicht das sichere Gefühl, dass es besser ist, die Reisestrecke schnell mit Ja zu bestätigen. Das Letzte, was Grimma und Isengora hören, ist sein helles Lachen, bevor er teleportiert wird. „Der hat uns reingelegt und wir sind wie zwei Dolyaks darauf reingefallen“, meint Isengora. Grimma grinst nur und meint: „Lass ihn ruhig, unsere Stunde kommt noch.“ Dann bestätigen sie ebenfalls und so kommen sie wenig später an der Ziel-Wegmarke an.

Silas, der sicherheitshalber nicht warten wollte, war schon einige Meter Richtung Süden gelaufen, als Grimma und Isengora an der Wegmarke ankommen. „In einem Punkt hat er recht“, meint Grimma. „In Deiner Heimat ist es wirklich um diese Jahreszeit verdammt kalt.“ – „Ach“, meint Isengora, während sie den obersten Knopf ihrer Rüstung öffnet, „Ihr seid alle verweichlicht. Das ist das Land der Norn, die hier ihre Legenden schaffen. Wir beweisen hier Mut und dienen der Ehre.“ – „Und ich denke an unseren Magen“, meint Grimma. „Siehst Du da vorn die Kaninchen? Ich denke, der Koch in der Abtei könnte uns etwas daraus zaubern.“ Isengora nickt und beobachtet wieder einmal fasziniert, wie Zielsicher und elegant Grimma den Bogen führt. Jeder Schuss ist ein Treffer und das Essen damit gesichert. Wenig später kommt ihnen Silas mit einem ernsten Gesichtsausdruck entgegengelaufen. „Wir haben ein Problem“, ruft er den beiden schon aus einiger Entfernung zu. Isengora und Grimma merken, dass gerade keine Zeit für Scherze ist, deshalb kommt sofort die Frage: „Was ist passiert?“ – „Wie Ihr wisst, müssen wir zur Abtei“, beginnt Silas die Erklärung. „Unser Weg führt uns dazu einen Holzpfad entlang, der aktuell von Grawlen blockiert wird. Das bedeutet, wir müssen nach und nach die Grawle aus dem Verkehr ziehen und ihre Barrikaden beseitigen, bevor es weitergeht.“ – „Wo ist das Problem?“, fragt Grimma. „Auf der linken Seite vom Holzpfad sind Felsen, die steil aufragen. Hier sind wir sicher vor Angriffen. Auf der rechten Seite geht ein Abhang steil runter. Wer runterfällt oder von den Grawlen runtergeschossen wird, dem kann kein noch so guter Heiler mehr helfen.“ Nach der Erklärung schauen Silas und Grimma in Richtung von Isengora. „Es ist meine verdammte Heimat. Lasst mich bitte möglichst nah an der Felswand entlanglaufen.“ So ziehen die drei los und nach wenigen Minuten betreten sie den Holzpfad.

Der erste Grawl-Berserker wird vom Grimma und ihrem Tiergefährten ausgeschaltet und so machen sich Silas und Isengora daran, das Hindernis aus dem Weg zu räumen, das ihr weiterkommen verhindert. Da fällt von oben ein riesen Schneeball auf beide herab und friert sie ein. Zusätzlich werden sie noch mit Kühle belegt. Es dauert ein paar Sekunden, bis Isengora sich als erste aus dem Zustand befreien kann, um dann die Kühle auch von Silas runterzunehmen. „Kopf runter!“, schreit da Grimma. Beide lassen sich fallen und schon schießen ganze Pfeilsalven von Grimmas Bogen in Richtung des Grawl-Schamanen, der um die Ecke gehüpft kommt. Wenige Sekunden später hebt Isengora ihr Gesicht wieder aus dem Schnee hervor und schaut sich vorsichtig um. Dabei fällt ihr Blick auf die Grimasse des toten Grawl-Schamanen, welcher direkt vor ihr liegt. „Er sieht aus der Nähe nach einem Schweinchen-Igel aus“, meint Isengora trocken und Silas, der sich in diesem Moment aus dem Schnee erhebt, muss fürchterlich lachen. Nachdem sich beide bei Grimma für ihre schnelle Reaktion bedankt haben, zieht die Gruppe weiter. Jetzt, da sie das Angriffsmuster der Grawle kennen, funktioniert es leichter. Isengora läuft voraus, bleibt aber in der Nähe der Felswand, dann folgt Silas und zum Schluss Grimma. So kann die Norn sofort einen Schutzwall aufbauen und während Silas sich um die Grawl-Berserker kümmert, kann Grimma wieder Schweinchen-Igel produzieren. Am Ende des Holzpfads kommt eine schmale Steinbrücke, aber da diese nur kurz und relativ unbewacht ist, nimmt Isengora hier ihren ganzen Mut zusammen und läuft, oder besser, springt mit zwei Sprüngen drüber. Der Weg zur Abtei wird breiter und in einiger Entfernung können unsere drei schon die große Zugangsbrücke zur Abtei sehen. Die Höhlenspinnen, denen sie unterwegs begegnen, verhalten sich relativ ruhig. Ob es an Grimmas Tiergefährtin, der Dschungelspinne, liegt?, fragt sich Silas in Gedanken versunken. Da kommen sie endlich an der gewaltigen Brücke an. Rechts und links wurden Sturmfeuer angezündet, um den Weg bei allen Sonnen- und Sternenständen gut auszuleuchten. Als Isengora, Grimma und Silas dann die Brücke entlang den Berg hochschauen, bekommen sie Gänsehaut von der Macht, die dieser Berg ausstrahlt. „So ein massenhaft gesammeltes Wissen gibt es an keinem anderen Ort“, meint Grimma. „Es ist ehrfurchtgebietend“, kommt von Isengora. „Es ist unser nächstes Ziel, um Kaia zu retten. Wir müssen weiter.“ Silas läuft voran über die Brücke und mit jedem Schritt wird er schneller. Isengora und Grimma hören sein Keuchen, als es nach der Brücke die Treppen hoch geht, doch erst als er einen Abtei-Arkanisten umrennt und dadurch ins Straucheln gerät, bleibt er einen Augenblick stehen, um wieder Luft zu holen. „Wo ist Ogden Steinheiler?“, fragt er das Abtei-Mitglied, das am Boden liegt. Dieser schaut ihn nur verständnislos an und steht langsam wieder auf. Dann klopft er sich den Staub aus der Kutte und geht weiter. „Hey seid Ihr alle hier so unfreundlich?“, ruft Silas hinter ihm her. Da nähert sich ein kleiner Asura. „Deine Umwelt ist wie ein Spiegel. Du warst unhöflich zu ihm, als Du ihn umgerannt hast, und statt ihm zu helfen und dich zu entschuldigen, forderst Du Antworten von ihm. Warum soll er mit Dir reden?“ Silas senkt den Blick und fragt: „Wie heißt der Mann, den ich umgerannt habe?“ Da sagt der kleine Asura: „Arkanist Braccae. Er ist unser Rüstungsschmied in der Abtei.“ – „Ich werde mich bei ihm entschuldigen“, meint Silas. „Darf ich Deinen Namen erfahren? – „Ich bin Verwalter Gixx.“ Da werden die Augen von Isengora groß. „Der Verwalter Gixx?“, fragt Isengora nach. „Ja, genau der und jetzt entschuldigt mich, ich bin beschäftigt.“ Da läuft Silas Verwalter Gixx hinterher. „Bitte, Verwalter Gixx, ich muss Ogden Steinheiler sprechen. Die Götter persönlich haben uns beauftragt, ein Menschenleben zu retten, doch dazu brauchen wir Ogden Steinheiler und sein Wissen.“ Gixx schaut erst Silas an, dann Isengora und zum Schluß Grimma. „Es ist eine Frechheit Eurer Götter und eine Beleidigung der großen Alchemie, dass kein Asura bei Euch ist, wenn es stimmt, was Ihr sagt. Kommt mit, ich bringe Euch zu Ogden Steinheiler.“ So führt Verwalter Gixx sie in das Herz der Abtei und dann in die Gewölbe, dort wo die größten Wissensschätze liegen und wo Ogden Steinheiler über alten Folianten brütet. Gixx öffnet zwei alte, schwere Holztüren und in der Mitte des Raums sitzt ein Zwerg aus Stein, der von unzähligen Folianten umlagert ist. „Ogden, hast Du Zeit, Leben zu retten?“, ruft Verwalter Gixx. „Wie viele sind es diesmal?“, fragt Ogden zurück. „1.000, 10.000 oder gar eine Millionen?“ – „Nein, ruft da Silas, es handelt sich um ein Leben, ein ganz besonderes Leben.“ Da schaut Ogden hoch und betrachtet Silas. „Du bist verliebt. Geh und suche dir ein anderes Mädchen.“ Nach diesen Worten liest Ogden in seinen Folianten weiter. „Die Götter persönlich wünschen, dass dieses Mädchen lebt“, kommt da der Ruf von Isengora. Ogden blickt wieder auf. „Welche Götter? Der Geist des Raben oder der Geist der Bärin?“ Isengora schüttelt den Kopf. „Die Götter der Menschen wollen, dass das Mädchen lebt.“ – „Was interessiert eine Norn, was die Götter der Menschen wünschen?“ Nach diesem Satz wendet sich Ogden wieder seinen Folianten zu. Da erhebt Grimma ihre Stimme. „Mein Vorfahre Brandor Grimmflamm hat gelogen, als er sagte, Ogden Steinheiler habe den Schwachen immer zur Seite gestanden.“ Wieder schaut Ogden auf und schaut diesmal Grimma an. „Woher willst Du wissen, was Brandor über mich gedacht oder gesagt hat?“ – „Brandor hat mich im Traum besucht. Er hat mir von seinen letzten Tagen erzählt und wie stolz er darauf war, mit Euch im Auge des Nordens zusammengearbeitet zu haben. Entweder hat er gelogen oder Ihr habt euch extrem verändert.“ Ogden senkt wieder den Blick in Richtung seiner Folianten. Mit Tränen in der Stimme fragt Silas: „Als Ihr dem Ritus des großen Zwergs gefolgt seid, ist da auch Euer Herz zu Stein geworden?“ In diesem Moment steht Ogden auf und geht auf die drei zu. „Ich habe viele Opfer gebracht, damit die Völker in Freiheit leben können. Wie haben sie es mir gedankt? Mit Kriegen, mit Hass, mit Anschlägen, mit Vernichtung. Sagt mir, warum soll ich helfen?“ – „Weil Kaia und Silas sich lieben“, meint Grimma, „und was gibt es Stärkeres als die Liebe?“ – „Dann hoffe ich, dass meine Antwort nicht ‚der Tod‘ lautet. Kommt mit mir.“ Ogden geht voran und Silas, Isengora und Grimma laufen hinter dem Steinzwerg her. Ihr Weg führt sie in die Küche, als Ogden plötzlich zwischen den Flammen des Ofens verschwindet. Der Koch lacht und meint: „Geht hinterher. So heiß ist es nicht.“ Silas nimmt Anlauf und verschwindet wenig später zwischen den Flammen. Nach diesem Anblick nehmen die beiden anderen ihren Mut zusammen und laufen in das Feuer hinein. Es wird ihnen einen kurzen Augenblick schwarz vor den Augen, als sie plötzlich in einer alten Bibliothek stehen. Ogden ist mit Silas schon in die Mitte gegangen. Zusammen haben sie sich an einen Tisch gesetzt, wo Silas aktuell ihre ganze Geschichte erzählt. Ogden hört die ganze Zeit zu und unterbricht Silas nicht einen Moment. Am Ende der Geschichte fragt Silas: „Kannst Du uns helfen?“ Ogden schüttelt den Kopf. „Ich kann, aber um die Frage zu beantworten, die Du vorhin gestellt hast, mein Herz, das ich immer noch spüre, will nicht helfen.“ Verständnislos schauen die drei Ogden an. „Was heißt das? Ich versteh das nicht.“ – „Ich will versuchen, es Dir zu erklären. Der Pfeil, der Kaia verletzt hat, wurde in Basiliskengift getränkt. Dieses Gift sorgt dafür, dass der ganze Körper von innen nach außen langsam versteinert. Das Ei der Dwayna würde diesen Prozess rückgängig machen. Das Problem ist, die Spitze von dem Pfeil bestand aus Blutsteinsplittern. Wenn das Ei anfängt, seine Magie zu verrichten, ziehen die Blutsteinsplitter in Kaias Körper diese Magieströme wie ein Magnet an, so dass sie keine Wirkung haben.“ Da mischt sich Grimma ein. „Das Ei der Komir meinte, wir bräuchten das Ei vom Gott des Todes und das Ei der Dwayna, um Kaia zu retten.“ Ogden nickt und antwortet: „Ich weiß.“ – „Also gibt es doch Rettung!“, ruft Silas, der durch ein Wechselbad der Gefühle geht. „Der Preis dafür ist extrem hoch.“ – „Egal, wie hoch der Preis ist“, meint Silas, „ich zahle ihn.“ – „Was ist der Preis?“, fragt Isengora. „Meine Aufgabe ist, die Kraft aus dem Ei von Grenth und aus dem Ei von Dwayna zu extrahieren und daraus das Amulett Le-To herzustellen. Dabei steht jeweils die Hälfte des Namens für das Leben und für den Tod. Wenn das Amulett fertig ist, muss die Todgeweihte ihre linke Hand auf die dunkle Seite des Amulettes legen. Eine andere Person, bevorzugterweise ein Mensch, der die Todgeweihte über alles liebt, muss seine rechte Hand auf die helle Seite des Amulettes legen.“ – „Was passiert dann?“, fragt Isengora. „Grenth entfernt den Geist und die Seele aus dem Körper. Beides wechselt über in den Wirt, dessen Hand auf der hellen Seite des Amulettes liegt. Hier wird es zu den ersten Problemen kommen. Der Körper ist nur für einen Geist und eine Seele gedacht. Der Druck auf den Körper ist enorm. Dazu kommt, dass jeder die Gedanken und Geheimnisse des anderen teilt. Es gibt keinen Rückzugsort, um etwas zu verstecken, egal wie persönlich es ist.“ Silas wird bleich, aber er will es wissen. „Bitte Ogden, was passiert dann?“ – „Grenth zerstört den Körper der Todgeweihten, bis nur noch Asche übrig ist. Dann bekommt die Person, die ihre Hand auf der hellen Seite des Amulettes hat sieben Stapel Blutung auferlegt. Dieses Blut fließt über die weiße Seite des Amulettes auf den dunklen Bereich. Dort nimmt Grenth teilweise das mächtige Blut auf, um einen neuen Körper zu erschaffen, der genauso aussieht wie der alte. Anschließend überführt Dwayna das alte Bewusstsein der Todgeweihten zurück in den neuen Körper. Dieser Prozess zerreißt die Seelen und die Bewusstseine der zwei, die zuvor in dem einen Körper zusammengepresst wurden. Der Schaden, der beim Auseinanderreißen entsteht, sorgt dafür, dass Eure Lebensenergie von voraussichtlich noch sechzig Jahren auf maximal vierzig Jahre sinkt und wenn der Helfende Pech hat, verblutet er, denn Dwayna wird ihm nicht helfen, weil die helle Seite voll damit beschäftigt ist, den Transfer durchzuführen.“ – „Dann helfe ich ihm“, ruft Isengora. Doch da schüttelt Ogden wieder den Kopf. „Während des gesamten Vorgangs darf kein anderer helfen. Eine zusätzliche Magie würde die Harmonie stören und beide umbringen. Versteht Ihr jetzt, warum mein Herz Nein sagt?“ Silas sitzt eine ganze Weile reglos da und schaut auf den Boden. Keiner weiß, wie viel Zeit vergangen ist, als Silas aufblickt und in die Richtung von Ogden fragt: „Kannst Du alles vorbereiten? Ich werde mit Kaia sprechen. Wenn sie einverstanden ist, können wir in 24 Stunden hier sein. Wenn nicht, siehst Du mich nie wieder und es ist Deine Entscheidung, was mit dem Amulett passiert.“ Ogden zögert erst, doch dann nickt er. Silas greift in die Tasche und nimmt beide Eier heraus. In der rechten Hand das Ei der Dwayna, in leuchtenden, warmen Farben vibriert es leicht in der Hand. In der linken Hand das dunkle Ei von Grenth, das eine tödliche Kälte ausstrahlt. Beide übergibt er an Ogden, bevor er sich umdreht und das Gewölbe mit schnellen Schritten verlässt. Erst draußen am Eingang der Abtei hält er an. Er schaut Grimma und Isengora an und sagt nur einen Satz: „Ich habe Angst“, und beide verstehen ihn, denn sie fühlen genau das Gleiche.

23. Bitte vergib mir, ich liebe Dich!

Unsere drei nehmen ihre Asura-Maps und reisen zurück nach Götterfels zur Wegmarke Salma. Während Grimma und Isengora beim Waisenhaus zurückbleiben und Priester Hazadim berichten, läuft Silas runter zu Ihan dem Heiler und damit zu Kaia. Als er ankommt, ist Ihan nicht zu Hause. Da die Tür aber nicht abgeschlossen ist, geht er rein und läuft hoch bis in die zweite Etage. Als er dann Kaia da so liegen sieht, bekommt er einen riesen Schreck. Die ersten Zeichen der Versteinerung sind im Gesicht und speziell am Mund zu sehen. Da öffnet Kaia die Augen und er bemerkt, dass sie ihn erkennt. Selbst jetzt versucht sie mit den Augen zu lächeln. „Es gibt Rettung für Dich“, erzählt Silas. Er berichtet von der Reise, vom Auffinden des vierten und fünften Eies und vom Besuch bei Ogden. Silas endet mit den Worten: „Ich liebe Dich, seit ich Dich das erste Mal gesehen habe. Bitte erlaube mir, Dir zu helfen.“ Da fängt Kaia an zu weinen und ihre Augen bewegen sich von rechts nach links. Plötzlich bäumt sie sich auf und ihre Augenlider verwandeln sich zu Stein. In diesem Moment ist Silas so geschockt über den Anblick, dass er nahe an ihr Ohr geht und flüstert: „Bitte vergib mir, ich kann nicht anders handeln, weil ich Dich liebe.“

Da kommt Ihan ins Zimmer. „Ich war im Waisenhaus und bin informiert. Wie hat Kaia sich entschieden?“ Schnell schaut Silas noch mal in das Gesicht von Kaia, als er sagt: „Sie hat nach einiger Diskussion zugestimmt.“ Ihan schaut misstrauisch, sagt aber nichts dazu. „Es ist spät, ich werde den Transport vorbereiten. Wir treffen uns morgen um 9 Uhr am Waisenhaus und reisen gemeinsam zur Abtei. Silas bedankt sich bei Ihan und geht dann in Richtung des Waisenhauses. Sein Gewissen brennt, denn er hat das Nein von Kaia nicht akzeptiert und er hat Ihan belogen. Aber sein Herz sagt, Du machst alles richtig, und diese Stimme ist lauter als alles andere.

Die folgende Nacht im Waisenhaus bringt für Silas keinen Schlaf. Er ist aufgeregt, nervös und er hat Angst. Ogden hat beschrieben, was passieren wird, aber wie wird es in Wirklichkeit sein wird? Die Fantasie erzählt Silas einen Albtraum nach dem anderen, doch immer wieder schreit sein Herz gegen die dunkle Macht an und schließlich endet der Kampf in seinem Kopf und bei den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne schläft Silas dann doch ein.

Ein lautes Klopfen an seiner Tür weckt den Jungen wenig später wieder auf. Gefühlt hat er vielleicht fünf Minuten geschlafen. „Wir brechen gleich auf, Silas. Ihan ist schon mit Kaia angekommen.“ Das war die Stimme von Priester Hazadim. Was hat er gesagt, Kaia ist hier? Schnell springt Silas aus dem Bett, zieht sich an und stürmt los Richtung Gemeinschaftsraum, wo schon alle versammelt auf ihn warten. „Bitte entschuldigt, ich habe heute Nacht nicht geschlafen.“ Hazadim nickt nur. „Das Opfer, was Du bringen möchtest, ist gewaltig. Bist Du sicher, dass Du es wirklich willst und dass es der Wunsch von Kaia ist?“ Einen kurzen Augenblick verleitet ihn die Angst dazu, Nein zu sagen, doch dann ist sein Herz wieder lauter. „Wir wollen es beide für eine gemeinsame Zukunft.“ – „Dann starten wir jetzt. In der Abtei treffen wir uns mit zwei Priestern des Grenth. Sie werden Ogden zusammen mit Kutay und mir unterstützen.“ Alle holen ihre Asura-Maps heraus und klicken auf den Wegpunkt Abtei.

Bei der Ankunft erwartet sie Verwalter Gixx. „Ogden Steinheiler ist in der großen Halle und hat alles vorbereitet.“ – „Hat er das Amulett herstellen können?“, fragt Grimma. Gixx nickt und meint: „Es war schwierig, aber ja. Teilweise konnte ich helfen und ich muss gestehen, ich hätte die Magie, die in den Eiern steckte gerne weiter erforscht. Sie war extrem kraftvoll, doch jetzt sind die Eier erloschen und nur noch eine tote Hülle.“ Da kommt die Gruppe in der großen Bibliothek an, wo Ogden sie erwartet. Doch alle schauen nur auf das herzförmige Amulett, das neben Ogden auf dem Boden liegt. Es ist fünfzig Zentimeter breit und damit größer als sich die drei das vorgestellt haben und es … es pulsiert, nein, es schlägt wie ein richtiges Herz und alle im Raum können die Vibration fühlen, die von dem Herzen ausgeht.

Ogden geht auf die Gruppe zu. „Ihr habt euch also entschieden.“ Silas schaut Ogden an und nickt. „Für das, was jetzt kommt, ist absolute Ruhe erforderlich. Nur die zwei Priester des Grenth, die zwei Priester der Dwayna sowie Silas und Kaia begleiten mich. Alle anderen ziehen sich dreißig Schritte zurück in Richtung Eingang.“ Die Priester tragen Kaia neben das Herz und legen sie dort hin. Dann positionieren sie ihre linke Hand auf die dunkle Seite des Herzens. Da kommen aus dem Herzen zwei schwarze Bänder, welche die Handfläche halten und fest auf den schwarzen Bereich drücken. Silas schluckt, als er das sieht, legt sich dann aber auch neben dem Herzen hin. Dann legt er seine rechte Hand auf den weißen Teil des Herzens und auch hier kommen weiße Bänder hervor, die seine Handfläche fixieren. Dann stellen sich die Priester hinter dem Kopf von Kaia und Silas auf. Die Priester des Grenth rufen die Macht des dunklen Gottes an, um das Werk der Zerstörung einzuleiten. Die Priester der Dwayna rufen die Macht der Göttin an, um das Leben zu schützen. Da startet von beiden Herzhälften jeweils ein Lichtschein. Das schwarze Licht fährt über den Mund in den Körper von Silas und das weiße in den Körper von Kaia. Die Götter prüfen, ob das Opfer von Silas rein ist und aus Liebe von Kaia angenommen werden will.

Es ist ein strahlend blauer Himmel, die Sonne steht in ihrem Zenit und es ist angenehm warm. Silas und Kaia sitzen alleine unter einem Baum. „Ich bin so verdammt wütend auf Dich!“, und schon bekommt Silas eine Ohrfeige! Schuldbewusst lässt Silas den Kopf hängen, nur um trotzig zu antworten: „Ich will nicht, dass Du stirbst!“ – „Und dafür lädst Du mir die Schuld und das Wissen auf, dass ich Dir zwanzig Jahre Deines Lebens wegnehme?“ – „Ich will es so“, kommt es da wieder trotzig zurück. „Aber warum?“, fragt Kaia. „Dein Gesicht, Deine Haare, Deine Stupsnase, dass Du für andere da bist, dass Du immer hilfst. Selbst wenn es Dir nicht gut geht, willst Du anderen noch helfen. Du bist für mich etwas Besonderes.“ – „Und wenn Du Sachen von mir erfährst, dunkle Geheimnisse, die Dich erschrecken?“ – „Dann werde ich sie in meinem Herzen einschließen und Dich trotzdem lieben.“ Kaia schaut ihn an und sagt: „Erinnerst Du dich noch an das Geheimnis, das ich Dir verraten wollte, wenn ich wieder gesund bin?“ Silas nickt. „Ich habe kurz nach dem Angriff von Scarlett auf Löwenstein einen Vogel gefunden. Sein rechter Flügel war gebrochen. Ich habe dem kleinen Vogel versprochen, auf ihn aufzupassen und ihn zu schützen. Da kamen zwei Frauen auf mich zu und eine davon hat den Vogel geheilt. Anschließend hat sie mich zu den Priesterinnen der Dwayna gebracht. In der ersten Nacht, in der ich zum ersten Mal wieder in einem Bett geschlafen habe, hatte ich einen Traum. Ich sah einen Jungen in einer glanzvollen Rüstung, der auf eine große Abenteuerreise gehen würde. Ich verliebte mich in den Jungen, den ich im Traum gesehen hatte, aber ich habe niemals damit gerechnet, dass ich ihn in der Wirklichkeit treffen würde. Doch dann sah ich irgendwann Dich und ich wusste, das konnte alles kein Zufall sein. Du bist der Junge aus meinem Traum und ich bin mir sicher, Dwayna hat uns zusammengeführt.“ – „Dann gib mir die Erlaubnis, Dich zu retten.“ – „Ich habe Angst“, kommt von Kaia. „Ich auch, aber wenn wir füreinander bestimmt sind, müssen wir auf die Götter vertrauen.“ Beide schauen sich ein letztes Mal tief in die Augen, bevor Kaia ruft: „Grenth, Gott des Todes, ich bin bereit“, und Silas vollendet: „Dwayna, Göttin des Lebens, ich bin bereit.“

Für Grimma und Isengora bietet sich als Außenstehende das Bild, wie zwei Spiralen aus hellem und dunklem Licht sich vermischen. Sie drehen sich immer schneller und das Schlagen des Herzens wird zu einem Herzrasen. Als erstes berührt die Spirale Kaias Körper, dann spannt sie einen Bogen und berührt den Körper von Silas, der sich schlagartig aufbäumt. „Die Seele und der Geist von Kaia“, verkündet Ogden, „wandern jetzt über die Brücke in Silas‘ Körper.“ Selbst aus der Entfernung ist zu sehen, wie der Körper von Silas stumme Schreie ausstößt. Eine helle Aureole löst sich aus Kaias Körper und wandert zu Silas. Als der Lichtschein dann seinen Körper berührt, fließt er hinein, als ob es tausend kleine Öffnungen gäbe, und im selben Moment beruhigt sich der Körper. „Beim großen Zwerg, er lächelt.“ Alle hören die Fassungslosigkeit in Ogdens Stimme. Aus der dunklen Seite des Herzens steigt schwarzer Nebel auf und legt sich auf den Körper von Kaia. Es gibt keine Geräusche, alles läuft erschreckend lautlos, doch als der Nebel sich verzieht, ist nur Asche von Kaias Körper übrig. Da löst sich ein Priester des Grenth von Kaias Seite und Priesterin Kutay wechselt ebenfalls die Position. Als die Priester ihre neuen Positionen eingenommen haben, greift der Priester des Grenth nach seinem Zeremonie-Dolch und schneidet damit in den Arm von Silas. Blut fließt in den weißen Teil des Herzens und von dort aus weiter in den schwarzen Teil. Wie eine rote Linie, der man beim Fließen zuschauen kann, bewegt sich der Blutstrom. Das Blut fließt weiter auf die Asche und als es aufkommt, startet sofort eine Reaktion. Ein goldener Schein entsteht und alle hören auf einmal eine traurige Melodie, die von einer Harfe gespielt wird. Je mehr Blut fließt, desto stärker wird der Schein, aber die anderen bemerken auch den sorgenvollen Gesichtsausdruck von Hazadim. Wie viel Blut kann Silas vergeben, bis er selbst zu schwach ist und den Verlust nicht mehr ausgleichen kann? Da kommt ein Zeichen von Ogden in Richtung von Hazadim. Dieser kniet nieder und verbindet den Arm von Silas. Der Blutfluss bricht ab und als der letzte Tropfen bei der Asche ankommt, endet der goldene Schimmer. Wo ist die Asche? Ein unterdrücktes Stöhnen kommt von den Beobachtern, die dafür einen vernichtenden Blick von Ogden ernten.

An dem Platz, wo Kaias Körper beziehungsweise ihre Asche lag, ist nichts mehr zu sehen, bis auf rot leuchtenden Staub. Da nimmt Priesterin Kutay einen Besen vom Boden auf und säubert gründlich damit die Stelle. Erst als sie sicher ist, nichts übersehen zu haben, stellt sie sich wieder neben den Priester des Grenth hin und wartet. Da bauen sich nochmals, kommend von den beiden Herzseiten, zwei Spiralen auf. Eine Dunkle sowie eine Helle und nach dem sie ihre größte Ausdehnung erreicht haben vereinigen sie sich ein weiteres Mal. Doch diesmal schwebt die Spirale auf Kaias Seite und fängt an zu pulsieren. Mal für Mal zieht sie sich zusammen und wieder auseinander. Wobei, nicht ganz. Das Auseinanderziehen wird immer weniger und es bildet sich etwas im unteren Teil. Die Spirale baut irgendetwas auf und nach einigen Minuten ist es dann für alle erkennbar. Es ist eindeutig Kaia. Ogden schickt vorsorglich einen mahnenden Blick an die Beobachter. Keinen Laut jetzt! Dann zieht die Spirale sich auseinander und verbindet den Körper von Kaia mit dem von Silas. Der Junge schreit vor Qual auf. Jeder kann spüren, dass er die Seele und den Geist von Kaia nicht abgeben will. Sie haben sich vereint, auf eine Art, welche die Beobachter nicht mal ansatzweise verstehen können. Dann löst sich ein goldener Schein von Silas und wandert über die Verbindung zurück in Kaias Körper. Ein letztes Schlagen des Herzens und es bleibt stehen. Seine Arbeit ist getan und die Beobachter bemerken, wie es grau wird und zerbröselt. Die Priester von Grenth ziehen sich unauffällig zurück, während Priester Hazadim Silas untersucht und Priesterin Kutay sich um Kaia kümmert. Es dauert einige Minuten, bis sich die Priester anschauen und nicken. Ogden dreht sich zu den Beobachtern um und ruft: „Was zum Teufel habt Ihr an dem Satz, Ihr sollt ruhig sein, nicht verstanden?!“ Die Gruppe steht wie vom Donner gerührt da, bis Ogden endlich den erlösenden Satz spricht: „Es hat funktioniert.“ Grimma und Isengora stürmen nach vorn zu Silas, der immer noch ohnmächtig und bleich im Gesicht daliegt. Jedoch spüren die beiden seine regelmäßigen Atemzüge. Priester Hazadim legt Grimma und Isengora seine Hände auf die Schultern und meint: „Es war knapp. Beide müssen jetzt 24 Stunden ruhen, bevor sie ansprechbar sind. Solange bleiben wir hier in der Abtei.“ Grimma und Isengora gehen zu Kaia rüber. Die Zeichen der Versteinerung sind komplett verschwunden. „Was war das für ein roter Staub, den Du weggewischt hast?“, möchte Grimma von Priesterin Kutay wissen. „Das war der Blutsteinstaub, der in Kaias Körper drin war. Grenth konnte ihren Körper zerstören, aber den Blutsteinstaub nicht davon trennen. Erst das Blut von Silas brachte die Lösung.“ – „Das verstehe ich nicht“, meint Isengora. „Nun“, erklärt Priesterin Kutay, „als der Körper Asche war, hatte der Blutsteinstaub nichts mehr, mit dem er sich hätte verbinden können. So blieb er Teil der Asche. Als das warme Blut kam, das von Dwayna mit einem Hauch Leben verbunden wurde, hat sich der Blutsteinstaub sofort darangeheftet. Anschließend wurde das Blut abgesaugt und vernichtet. Die Asche wurde von Dwayna aufgenommen und wieder in ihre Ursprungsform zurückverwandelt.“ – „Bitte hör auf“, fleht Isengora, „in meinem Kopf dreht sich alles.“ Kutay lächelt und zusammen mit Silas und Kaia, die auf schwebenden Tragen vorweg fliegen, werden sie in den Wohnbereich der Abtei gebracht.

Als sie in ihren Zimmern ankommen, grummelt der Magen von Isengora recht laut, was Grimma zu der Frage veranlasst: „Wie spät es ist?“ Da steckt Priester Hazadim den Kopf durch die Tür und ruft zum Abendessen. Sorgenvoll zieht Grimma die Stirn in Falten, „Abendessen? Wir hatten nicht einmal Mittagessen. Wie spät haben wir es denn?“ – „Die Sonne ist so eben hinter den Zittergipfeln untergegangen“, bekommt sie ihre Antwort.